Draussen
konzentrierte mich wieder auf mein Opfer. Hielten die etwa Händchen? Oder sah das nur so aus? Ich tat, als müsse ich meinen Schuh zubinden, um mich weiter nach links beugen und von unten einen Blick auf die Hände der beiden werfen zu können. Dabei war es mir völlig egal, dass ich Stiefel mit Reißverschluss trug. Das konnte man ja sowieso nicht sehen. Dafür sah ich, was ich befürchtet hatte: Ihre beiden Hände waren so ineinander verknotet, dass ich mich fragte, wie das bei einer normalen Anatomie überhaupt möglich war. Ich war so fasziniert, dass ich fast vornüberkippte. Ich fing mich gerade auf, da klingelte mein Handy. Verdammt, ich dachte, ich hätte es ausgemacht! Wo war das blöde Ding? Ich schämte mich für meinen Klingelton »Der Gummersbacher Kinderchor singt: Die Affen rasen durch den Wald«, der jetzt tausendfach das Wasserrauschen von der Leinwand zu übertönen schien. »Wo ist die Kokosnuss, wo ist die Kokosnuss?« quengelte es aus den Untiefen meiner Handtasche. Ja, wo war sie, die Kokosnuss? Jetzt beneidete ich die Frauen, die sich diese Minihandtäschchen unter die Achsel klemmten, denn da passte garantiert nichts außer einem Handy rein. Endlich hatte ich es, drückte mit der einen Hand auf den grünen »Annehmen«-Knopf, packte mit der anderen Hand meine Sachen und stolperte hinaus, nicht ohne meinen Riesenschatten auf der Leinwand zu bewundern. Mein Haar saß wirklich toll. Am Telefon war Connie. »Mensch, Sara, du musst herkommen, NUR junge Herren hier, einer attraktiver als der andere! Wo steckst du denn?« – »Das wollte ich dich gerade fragen. Waren wir nicht verabredet? Hier? In der Musikhalle?« – »Musikhalle? Nein. Wir waren zum Freeclimbing-Kurs im Meridian Spa verabredet. Und es ist großartig! Lauter total interessante Typen. Und sie tragen alle hautenge Klamotten. Hallo? Hörst du mich? Hier hat man einen so schlechten Empfang, aber du musst sofort kommen! Hallo?« Die Verbindung war unterbrochen. Und ich stand mäßig gelaunt vor der Musikhalle. Na wunderbar. Jetzt nach Hause radeln, Sportklamotten zusammensuchen und wieder los. Und es war schon nach halb neun. Von nix kommt nix, dachte ich und schwang mich seufzend auf meinen Drahtesel.
Kapitel 3 Bruderliebe
Schon nach den ersten Metern bemerkte ich, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich fuhr ja auf den Felgen! Mist. Mein Vorderreifen war komplett platt. Natürlich hatte ich keine Luftpumpe dabei. Wozu auch? Das war ja dasselbe Prinzip wie mit dem Regenschirm. Ich hob gerade zu einer umfangreichen Fluchtirade an, als ich eine Radlerin auf mich zudüsen sah. Es war eine von diesen Frauen mit hochgekrempelten Jeans, engem T-Shirt, Lederband mit Amulett um den Hals, dem Riemen der Kuriertasche quer über den Oberkörper und Mountainbike. Ich stellte mich ihr in den Weg und rief: »Hey, ’tschuldigung, hast du vielleicht ’ne Luftpumpe?« Sie hielt mit laut quietschenden Bremsen. »Sorry, ich hab unter Linden geparkt, da klingen die Bremsen immer so, von der Läusepisse.« Sie schob sich ihre LKW-Planen-Tasche auf dem Rücken zurecht. »’Ne Luftpumpe hab ich leider auch nicht dabei. Ist wie mit dem Schirm.« – »Schade! Aber nett, dass du angehalten hast.« – »Blieb mir ja nichts anderes übrig!« Sie wollte sich gerade wieder in den Sattel schwingen, als ihr noch etwas einfiel: »Ich hab mal überlegt, cool wären Lufttankstellen überall in der Stadt. Kleine Kästen mit Hochdruckluftpumpen und Münzeinwurf. Mit 50 Cent könnte man sich drei Minuten Luft rauslassen.« Sie strahlte mich an, begeistert von ihrer Idee. »Stimmt, die Idee ist super, aber wenn es sowas gäbe, hätte ich ganz sicher in dem Moment kein 50-Cent-Stück. Außerdem hab ich französische Ventile. Ich bräuchte dann also auch noch einen Adapter, zusätzlich zur Luft. Und ein Geldwechselautomat wäre auch nicht schlecht …« – »Hm. Ja, du hast Recht. Ich denk mal drüber nach. Schönen Abend noch!« Sie düste davon. »Ich wollte dich nicht desillusionieren! Ist wirklich ’ne tolle Idee!« rief ich ihr noch hinterher. Sie hatte nach unserem kurzen Gespräch etwas unfroher gewirkt als davor. Natürlich hatte mein Rad in einem vom ÖPNV – ich liebte diese Abkürzung, schließlich hatte man viel zu selten Abkürzungen, die mit »Ö« anfingen, außer vielleicht in Österreich – bisher nahezu unerschlossenen Gebiet seinen Geist aufgegeben. Hoffentlich würde ich es noch rechtzeitig zu den kletternden Männern schaffen. Ich schob, als
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