Draussen
wollte ich mich einschleimen. »Aha.« – »Und was führt dich in die schönste Stadt der Welt?« Ich strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Endlich waren meine Haare so lang, dass ich das konnte. »Ha, mei Freindin hot jetz do ohgfanga zom studiera. Ond no behne mit.« – »Aaaah, das nenn ich Liebe! Herrlich!« Toll. Herzlichen Glückwunsch. Seine Freundin. Kommt bestimmt auch aus der Sprachdiaspora, denn diesen Dialekt hält man ja wirklich nur aus, wenn man selbst auch damit geschlagen ist. Sollen sie doch glücklich werden miteinander. Für mich wäre das sowieso nix. »Du, man sieht hier wirklich ganz schlecht, ich glaub, ich such mir doch einen besseren Platz«, flüsterte ich und zeigte irgendwohin, denn das Licht war gerade ausgegangen und die Show würde jeden Moment losgehen. »Joh, hanni doch glei gsagt. Ade.« – »Tschüss, man sieht sich!« Ich schnappte mir Jacke und Tasche und schlich weiter nach hinten, wo ich mich wahllos auf einen freien Platz sinken ließ.
Auf der Leinwand spritzte die Gischt und fröhliche Kanuten oder so stürzten sich in wilde Fluten. Ich sah mich um, denn ich wollte wissen, neben wem ich jetzt zum Sitzen gekommen war. Auch nicht schlecht, freute ich mich. Denn was ich im Halbdunkel erkennen konnte, gefiel mir. Ein bebrillter Kerl mit markantem Kinn, wie es die Amerikaner in zweitklassigen Highschool-Komödien zu tragen pflegen, dazu eine modische David-Beckham-Eichhörnchen-Frisur und Dreitagebart, wenn ich das alles richtig erkannte. Ich musste wohl etwas zu intensiv gestarrt haben, denn auch er drehte sich jetzt zu mir und sah mich fragend an. Ich lächelte und sah dann interessiert nach vorn auf die Leinwand. Aus dem Augenwinkel scannte ich noch seine rechte Hand, die auf einem muskulösen Oberschenkel ruhte. Er hatte schlanke, gepflegte Finger, nicht zu groß und nicht zu klein, wie ich zufrieden feststellte. Und dieser Duft! Hmmm, Gaultier, das Parfum aus dem Matrosen-Flakon, ich liebte es, einige meiner schwulen Bekannten trugen es und … Moment, eigentlich kannte ich NUR Schwule, die dieses Parfum hatten! Nun, vielleicht war er ja der erste Hetero-Nutzer, den ich kennenlernte, ja, höchstwahrscheinlich war das so. Ich durfte mich jetzt nicht verrückt machen. Was sollte ein schwuler Mann beim Wildwasserraftingdiavortrag? Das war doch gefährlich! Da wurde man doch nass. Und die Frisur wird zerstört, bemühte ich sämtliche Klischees, die mir gerade einfielen, und verachtete mich ein wenig dafür. Wer saß denn links neben ihm? Sein Freund? Oder nur ein Freund? Ich lehnte mich weiter vor, um besser sehen zu können. Vor mir auf der Leinwand kämpften tapfere behelmte Männer gegen die Fluten. In meiner Sitzreihe kämpften meine Augen gegen die Dunkelheit und siegten. Aber was sie sahen, freute mich nicht: Die indische Rastafrau saß neben David! Und nicht nur das: Sie war eindeutig weiblich! Die einzige Frau im ganzen Saal musste ausgerechnet seine sein! Nein, musste sie nicht. Es konnte ja auch nur ein Zufall sein. Oder seine Schwester. Oder die Cousine. Von mir aus auch nur seine beste Freundin. Oder eine entfernte Bekannte. Oder sie kannten sich überhaupt nicht und saßen nur so nebeneinander, so wie ich neben ihm saß.
Das wollte ich herausfinden. Es war mühsam. Als Singelin musste man ständig etwas rausfinden. Gebunden oder solo, schwul oder Schwabe, beziehungsfähig oder nicht – es war anstrengend. Und dann wurde man selbst mit zunehmendem Alter ja auch immer anspruchsvoller. Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit Connie letzten Samstag, als wir uns bei ihr im Bad gerade aufhübschten, bevor wir uns ins Saturday-Night-Life stürzen wollten: »Du kannst keinen wollen, der gerade aus einer längeren Beziehung kommt. Für den biste doch nur ’ne Interimslösung!« hatte sie festgestellt, während sie sich ihre Wimpern tuschte, und ich hatte geantwortet: »Das stimmt, aber ich will auch keinen, der immer nur kurze Beziehungen hatte. So einer ist ja total bindungsunfähig!« Connie hatte mir beigepflichtet, dann aber zu bedenken gegeben: »Aber wenn einer noch nie ’ne längere Beziehung hatte, ist doch auch was faul. Den würde ich auch nicht wollen, so einer trinkt bestimmt heimlich Menstruationsblut.« – »Aber von wem denn? Gerade der kommt da doch am schlechtesten ran. Tja, die Auswahl ist relativ begrenzt, ne?« – »Petri Heil wünsch ich uns!« Natürlich waren wir in dieser Nacht mal wieder mit leeren Händen nach Hause gekommen.
Ich
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