Draussen
kann man sich nur so verstellen, wenn man schreibt? Vielleicht, weil man beim Schreiben viel mehr Zeit hat. Hm. Hatte er nicht immer erst Stunden später auf meine Mails geantwortet? Vielleicht hatte er gar nicht selbst geschrieben?
»Und, was hast du für Hobbys?« Huch, er hatte mich was gefragt! Damit hatte ich nicht rechnen können. Nachdem er die letzte Stunde nur in ausufernden Elegien von sich geschwelgt hatte, traf mich dieser plötzliche Frontalangriff aus dem Investigationsjournalismus unvermittelt.
»Äh, Hobbys … tja, ich mag Tiere. Und ich lese gern. Am liebsten ›Hanni und Nanni‹. Und Hinterglasmalerei interessiert mich. Aber nur auf Milchglas und Butzenscheiben. Und Ernährung. Also, alles was damit zusammenhängt. Auch Verdauung und so. Ich wollte als Kind immer Ökotrophologin werden, nur dass das damals anders hieß«, kam ich ins Schwadronieren und merkte, wie ich begann, irgendwelche Hobbys zu erfinden, nur für mein Entertainment. Schließlich wollte ich noch aufessen, bevor ich einen Pflaumensturz vortäuschte und mich vom Acker machte. Und die Zeit der Nahrungsaufnahme wollte kurzweilig gestaltet sein. Er war begeistert.
»Ach ja, Lebensmittel interessieren mich auch sehr. Also, eben was da drin ist. Ich hab’ ja an meinem Kühlschrank so eine ›E-Liste‹ hängen. Also, eben Farbstoffe, Geschmacksverstärker und so. Eben so Zusatzstoffe.« Eben. Dreimal. An Stellen, an denen es wirklich unnötig war.
»Ich will eben wissen, was ich esse. Eben ob das allergieauslösend und sogar schlimmer ist. Ich hatte nämlich mal eine Ex – ist schon Jahre her und wirklich sowas von vorbei, keine Angst …« Er lachte und ich schaltete auf Autopilot. Ich sah zwar, dass sich sein Mund bewegte, hörte aber nicht auf seine Worte. Inzwischen kannte ich seine gesamte Familiengeschichte, alle Frauen, »mit denen ich mal was hatte«, seine Ausbildung, wusste, warum er mit 26 aus der Eifel nach Hamburg gezogen war (»Ein Jobangebot, das ich nicht ausschlagen konnte«; ich hatte noch nie eine schlechtere Paten-Parodie gehört) und dass er eine Erdbeerallergie hatte. Das Schlimmste war, dass ich mir das alles gemerkt hatte. Und dann noch, als »Ausgleich« zum »stressigen Job als Ingenieur« in irgendsoeiner Maschinenfabrik, Bäume mit Äxten bewerfen und sich dabei fotografieren lassen. Wie pervers. Dann schon lieber Männerballett wie der neulich – nein, der war auch nicht besser. Wie hieß er noch? Frank. Na ja, immerhin hatten wir geknutscht. Aber auch erst nach zwei Flaschen Rotwein. Irgendwann hatte ich ihn richtig süß gefunden. Also Frank, nicht den Rotwein. Gottseidank war mein Verstand aber trotz des Alkohols noch so wach, dass ich seinen »Wir-gehen-jetzt-zu-dir«-Anwandlungen standhalten konnte. Bei unserem zweiten Treffen trug er eine Brille und kurze Haare. Ich hab nix gegen Brille und kurze Haare, überhaupt nicht. Aber ihn veränderte das derart zu seinen Ungunsten, dass ich, als ich ihn im Tageslicht und ohne die mildernde Wirkung bewusstseinsverändernder Destillate am vereinbarten Treffpunkt stehen sah, am liebsten einfach an ihm vorbeigeradelt wäre. Die nächste Stunde im Café war nur unter Höflichkeit und Menschenliebe meinerseits zu verbuchen gewesen. Die Art, wie er in Sozialpädagogenmanier den Mund zur Schnute gezogen und etwas zu oft genickt hatte beim zustimmenden »Hmm, hmm«, hatte mich wahnsinnig gemacht.
»Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?« Ich sah in Georgs rotes, verschwitztes Gesicht – er hatte mir wohl noch ein paar Allergien und Hautprobleme verschwiegen – und mir wurde plötzlich bewusst: Es gab Handlungsbedarf. Ich wollte hier nicht sein. Nicht in diesem pseudoasiatischen Fresstempel, wo sie jetzt ihre Al-Bano-und-Romina-Power-Cassette – ja, ich war mir sicher, es war noch eine Audiocassette, auf CD gab’s das bestimmt nicht – zum gefühlt achten Mal abspielten, und nicht mit diesem Mann. Diesem unansehnlichen Wichtigtuer mit akuten Hautproblemen. »Du, tut mir leid, aber ich glaub, ich krieg gerade meine Tage. Entschuldige mich mal kurz.« Er schien noch röter zu werden, falls das überhaupt ging. »Ja, nee, klar, äh … hatte meine Ex auch immer, also Sandra, die mit dem Pferd, was ich dir eben erzählt hab, nicht Sabine, die war ja davor, das ging aber eben auch nur drei Monate, also …« – »Ich komm gleich wieder«, unterbrach ich ihn und ging energischen Schrittes zur Toilette. Er wusste nicht, dass ich nie wiederkommen würde. Dachte
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