Draussen
beim Madonna-Konzert. Mal schauen. In der Hoffnung auf schwarzen Edding auf Pappkarton: »Suche Karte, Preis egal« begann ich, mir die Herren, die in die Halle strömten, genauer anzusehen. Sonnengegerbte Gesichter, muskulöse Arme und dichtes, lockiges, schulterlanges Haar, nur durch ein Gummiband gebändigt, stahlblaue Augen, Dreitagebärte und immer wieder Muskeln, Muskeln, Muskeln – suchte ich vergebens. Eigentlich sahen alle ganz normal aus. Manche ganz nett, manche nicht so. Aber einigen sah man sogar tatsächlich an, dass sie sich gerne draußen aufhielten. Ich hoffte, dass Georg sich nicht unters Wildwasser-Volk gemischt hatte. An seiner Haustür hatte ich ihm für eine Frau unmissverständlich klargemacht, dass unser erstes gleichzeitig auch unser letztes Treffen gewesen war. Nun war er aber ja ein Mann und so hatte er mir also gesimst, er wolle heute nochmal mit mir reden. Blöderweise hatte ich ihm erzählt, dass ich zu diesem Diavortrag gehe und also keine Zeit habe. Und hinzugefügt, dass ICH MICH wieder melden würde. Es war ihm zuzutrauen, dass er die Gelegenheit ergriff und hierherkam. Ich sah mich um. Es gab viele Rauschebärte – eine Mode, mit der ich mich immer noch nicht angefreundet hatte – und die Fjäll-Räven-Rucksack-Dichte war auch sehr hoch. Allesamt waren es junge, recht sportlich wirkende Männer, Georg war nicht unter ihnen und: Sie waren allein. Ob sie jetzt auch Singles waren, stand ihnen nicht auf die Stirn geschrieben, aber es war doch sehr wahrscheinlich. Schließlich interessierte man sich doch bestimmt nur für Outdoor-Aktivitäten, um seine Einsamkeit und den Wunsch nach Partnernähe zu kompensieren. »Aber jetzt bin ich ja hier! Euer Leiden hat ein Ende!« wollte ich dem einen oder anderen Naturburschen zurufen. »Du musst nicht mehr mit dem Mountainbike über die Alpen! Wir nehmen ein Flugzeug nach Italien! Keine riskanten Tauchabenteuer im Roten Meer mehr! Lass uns zusammen am Strand liegen! Nie mehr Kentertraining im Hallenbad! Wir machen eine Kreuzfahrt!«
Ich strahlte. Es waren wirklich ein paar Sahneschnittchen dabei. Leider suchte keiner eine Karte. Im Gegenteil, es schien sogar noch genug an der Abendkasse zu geben. Doch inzwischen hatte sich der Vorplatz geleert und auch der letzte Marlboro Man hatte seine Zigarette ausgetreten. Gut, dann eben ohne Connie. Für die Karte sollte sie mir bei Gelegenheit mal ein Bier ausgeben. Ich ging rein und sah mich um. Der kleine Saal der Musikhalle war gut gefüllt. Vorne rechts am Rand war noch ein Platz neben einem durchaus attraktiven Herrn frei. Dass er frei war, hatte einen Grund: Die Sicht auf die Leinwand war durch eine Säule stark eingeschränkt. Ein Hörplatz. Machte aber nichts – ich war schließlich nicht zum Vergnügen hier.
Ich hängte meine Jeansjacke über den Sitz, setzte mich und nahm meine Riesenhandtasche auf den Schoß. Er sah wirklich toll aus. Eine Mischung aus dem frühen Pierce Brosnan und Crocodile Dundee. Und tatsächlich hatte er an einem Lederband den Zahn einer (sicherlich selbst erlegten) Wildkatze um den Hals. Ansonsten trug er Jeans und ein weißes T-Shirt, unter dem sich ein muskulöser Oberkörper abzeichnete. Während ich ihn scannte, kam ich mir ein wenig vor wie beim Porno-Casting. Ich stellte mir jedenfalls vor, dass es in etwa so ablaufen musste, wobei die Aspiranten vermutlich weniger anhatten als der braungebrannte, schwarzlockige Beau neben mir. Er drehte sich zu mir. Halt, das muss ich anders schreiben: Er drehte sich zu mir! Dieses Bild von einem Mann wollte mir etwas mitteilen!!! Ich war außer mir vor Freude.
»Do siehsch doch gar nix. Isch nix anders meh frei?« Würde mein Leben von Musik begleitet, käme jetzt der Jingle der verlorenen Wetten-dass? -Wette. Sollte ich mir noch schnell einen anderen Platz suchen, neben einem vielleicht äußerlich weniger ansprechenden Mann, der dafür aber Deutschmuttersprachler war? Nein. Ich wollte versuchen, dieses Prachtexemplar der Männerwelt wenigstens für meine niederen Instinkte zu erobern; er musste dabei ja nicht reden. »Du kommst nicht von hier?« fragte ich ihn, Interesse heuchelnd. »Noi.« – »Süddeutschland?« fragte ich keck und lobte mich insgeheim für meine Gabe, Dialekte schnell zuzuordnen. »Jo, Schduddgard«, sagte er, »aber i beh schon drei Monat do hanna in Hamburg.« Hatte er mir eine Zeit- und eine Ortsangabe mitgeteilt? Mir war so. »Ich habe auch Verwandtschaft in Bayern. Mein Cousin lebt in München«,
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