Dreamboys 01 - Tigerjunge
will!«
»Er wird uns doch am hellen Tag mitten im Hotel nicht umbringen!«, entgegnete ich mit einem Lachen.
Fünfzehn Minuten vor vier gingen Tarun und ich zu Fuß los und erreichten das Hotel Rondo pünktlich. Wir fragten einen glatzköpfigen Angestellten an der Rezeption nach dem Maharadscha und wurden – wie sollte es anders sein – zur Fürstensuite hinaufgeschickt. Ein kleiner, listig wirkender Inder öffnete uns. Der öligen Stimme nach war es der Sekretär Sumit.
Irgendwie hatte ich einen Prunksalon voller Seidenkissen und orientalischer Düfte erwartet, mittendrin einen Maharadscha in bunten Pluderhosen, behängt mit Gold und Diamanten. Dieser naive Zahn wurde mir sogleich gezogen. Im weitläufigen Empfangszimmer der Fürstensuite saß Seine Hoheit der Maharadscha Ashutosh Markandeya Singh von Khantapada im maßgeschneiderten Anzug mit seidener Krawatte auf einem modernen, weißledernen Sessel. Er nickte uns freundlich zu, als wir eintraten, und deutete auf die übrigen Sessel. Wir nahmen ihm gegenüber Platz. Nur ein edler Granittisch trennte uns von ihm.
Der Maharadscha sah blendend aus. Er war bestimmt nicht älter als vierzig, wirkte schlank und sehr vornehm. Seine Haut war ziemlich hell. Er trug einen schmalen Kinnbart. Das einzig typisch Indische an ihm schien sein geschickt geschlungener Turban aus weißer Seide zu sein, der tatsächlich mit Perlen und Juwelen besetzt war. Tarun starrte Seine Hoheit neugierig an, und auch ich fand seine Erscheinung imposant.
Bevor er ein Wort sprach, musterte er Tarun beängstigend intensiv. Plötzlich glaubte ich zu wissen, weshalb er uns zu sich bestellt hatte. Ein wilder Kampfgeist beseelte mich. Nur über meine Leiche würde dieser indische Angeber unseren Tarun kaufen können! Ich wünschte, ich hätte doch Oliver mitgenommen, aber dafür war es nun zu spät. Ich musste höllisch auf der Hut sein!
»Ich habe über Ihren Schützling, den Sie Tarun genannt haben, ganz verschiedene Dinge gelesen«, begann der Maharadscha endlich. »Die Presse- und Twitterberichte sind nicht sehr zuverlässig. Ich möchte von Ihnen, Herr Erlach, gerne wissen, was davon wahr ist.« Er machte eine effektvolle Pause, während ich trotzig schwieg. »Ist es richtig, dass Tarun im Dschungel von Simlipal aufgewachsen ist?«
»Ja«, antwortete ich. Mehr nicht.
»Und dass er von einer Tigerin großgezogen wurde?«
»Ja.« Wieder nur ein Wort. Ich wollte eigentlich mit Tarun fort aus diesem kalt wirkenden Hotel.
Seine Hoheit betrachtete Tarun erneut von Kopf bis Fuß. »Kannst du richtig sprechen?«, fragte er.
In Taruns Augen flammte Ärger auf. »Natürlich kann ich richtig sprechen!« Er war beleidigt, dass der Maharadscha ihn für einen primitiven Wilden zu halten schien.
»Ich will nun etwas sehr Wichtiges wissen«, fuhr Ashutosh fort. »Befindet sich auf deinem Nacken, direkt in der Mitte über der Wirbelsäule, ein kleines Muttermal?«
Tarun schaute fragend zu mir. Das Wort Muttermal kannte er nicht. Tatsächlich aber hatte er auf seiner Zimthaut an genau dieser Stelle ein kleines, dunkles Mal. Er selbst konnte es nur mit zwei Spiegeln sehen, doch Alain und ich hatten die Stelle oft geküsst. Das Mal war ganz rund, wie ein Tilaka, ein indisches Segenszeichen, und unterstrich seine wunderbare Schönheit nur noch mehr.
»Warum wollen Sie das wissen?«, fragte ich zurück.
»Das erkläre ich Ihnen sofort. Hat er dieses Mal an dieser Stelle?«
»Ja«, sagte ich widerstrebend. Ich wunderte mich wirklich, woher der Typ das wusste, denn ich konnte mich nicht erinnern, darüber je mit einem Fremden gesprochen zu haben.
»Dann ist er sehr wahrscheinlich mein Sohn!«, sagte der Maharadscha.
Ich saß stumm da, wie vom Blitz getroffen, und starrte Ashutosh an, als wäre er ein Geist. Taruns große Augen wurden noch größer. Auch er sagte kein Wort.
»Khantapada liegt südlich von Baripada, nahe der Meeresküste«, redete der Maharadscha einfach weiter. »Ich hatte damals eine junge Frau in meinen Palast geholt, die sehr schön war.« Er machte wieder eine Pause, schüttelte dann den Kopf, als könne er seinen eigenen Erinnerungen kaum glauben. »Die Frau wurde meine Geliebte, doch mein Vater hatte bereits eine Heirat für mich arrangiert. Ich war kaum über zwanzig, ich fügte mich. Die junge Frau gehörte nicht zu unserer Kaste, sie wurde weggeschickt. Nach ein paar Monaten sandte sie mir Fotos von unserem Sohn.« Er griff in die Innentasche seines Jacketts und überreichte
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