Dreamboys 01 - Tigerjunge
uns mehrere, etwas verblichene Bilder.
Wie betäubt schaute ich darauf. Babyfotos von Tarun! Er war es ganz zweifellos. Das Muttermal sah man deutlich, und die Augen des kleinen Kindes glichen bereits den wundervollen Augen Taruns. Meine Hand begann zu zittern. Ich wünschte mir Alain an meine Seite, hergezaubert aus Paris. Tarun beguckte die Fotos ziemlich unbeteiligt und runzelte die Stirn.
»Und weiter?«, krächzte ich.
Der Maharadscha richtete seinen Blick auf das breite Fenster. »Sie hatte eine Nachricht beigefügt, dass sie das Kind bereits im Dschungel ausgesetzt habe und sich das Leben nehmen wollte, weil sie die Schande nicht ertragen konnte. ‚Wenn du diesen Brief liest, bin ich schon tot!’, schrieb sie.«
Ein tiefes Schweigen folgte.
»Du bist schuld, dass meine Mutter tot ist?«, fragte Tarun in die Stille hinein.
Ashutosh wandte sich wieder zu uns. Seine unteren Lidränder schimmerten feucht, doch vielleicht täuschte ich mich da auch. »Ja. Aber ich war jung, nur wenig älter als du, Tarun. Ich habe gelesen, dass auch du deiner Lust folgst, ohne nachzudenken.«
Er wusste also von dem Kapitänsdinner! Wahrscheinlich war auch die Hochzeitsaffäre der Bankiersfamilie Erlach in allen Medien genüsslich ausgewalzt worden.
»Ich habe keine anderen Kinder«, sprach der Maharadscha weiter. »Ich möchte dir eine Zukunft geben, Tarun. Ich bekleide eine Professur in Kolkata, ich spreche zehn Sprachen fließend, und ich kenne viele wichtige Leute. Du sollst eine gute Schule dort besuchen und studieren, und später wirst du der Maharadscha von Khantapada werden.«
Tarun wirkte gelangweilt. »Wir wollen nach Hause zu Oliver«, sagte er zu mir und griff nach meiner Hand.
»Wir werden für Tarun selbst eine gute Ausbildung organisieren, hier in Freiburg«, entgegnete ich mit großer Bestimmtheit. »Wir werden uns niemals von ihm trennen!«
Im Gesicht des Maharadschas bildeten sich scharfe Züge, die ihn, so gut wie er auch aussah, plötzlich hässlich wirken ließen. Anscheinend war er es nicht gewohnt, dass man ihm widersprach. »Ich habe Sie nicht hergebeten, Herr Erlach, um Ihnen Vorschläge zu unterbreiten«, bemerkte er in herablassendem Ton. »Ich habe Ihnen nur mitgeteilt, was ich beschlossen habe.«
Ich wandte mich so ruhig wie möglich an Tarun, obwohl ich innerlich kochte vor Wut: »Tarun, was meinst du dazu? Du bist erwachsen und kannst selbst entscheiden. Möchtest du zurück nach Indien, nach Kalkutta? Du hast jetzt einen reichen und bedeutenden Vater, einen adligen Familiennamen, einen Palast und eine große Zukunft.«
»Ich will, dass Alain bald wieder da ist. Ich will bei euch bleiben. Ich will nicht zu dem Mann, der meine Mutter umgebracht hat«, sagte er leise und begann, meine Hand zu küssen.
Der Maharadscha betrachtete uns angewidert. »Dieser unheilvolle Einfluss muss auf jeden Fall aufhören!«, murmelte er. Er zückte ein Smartphone. »Du kannst die Leute jetzt schicken, Sumit!«, bellte er auf Englisch ins Telefon.
Ich sprang auf, zog Tarun dicht zu mir heran und strebte mit ihm rasch zum Ausgang. Im selben Moment wurde die Tür aufgerissen. Sechs Männer vom Typ Bodyguard polterten herein. Ich konnte nicht so schnell mit meinem Geliebten fortlaufen, wie sie uns angriffen. Drei von ihnen überwältigten mich und jagten mir eine Injektionsnadel in den Arm, die drei anderen machten es mit Tarun genauso. Wir versuchten zu kämpfen, wir schlugen und traten um uns, doch gegen sechs Männer waren wir machtlos. Ich sah noch, wie Tarun bewusstlos nach vorn kippte. Auch mir wurden die Glieder schwer, benommen sank ich im Narkoserausch zusammen.
Mit vollem Einsatz
I ch wachte im Bett eines Hotelzimmers auf, das ich nicht kannte. Allein.
Fassungslos sprang ich auf – und musste mich gleich wieder setzen. Die Betäubung steckte mir noch im Blut, mir war schwindlig und übel. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Es war etwa achtzehn Uhr. Hastig suchte ich nach meinem Handy. Es steckte in meiner Jackentasche wie immer, war jedoch abgeschaltet. Hektisch gab ich meine PIN ein. Mindestens zehn Anrufe von Oliver waren inzwischen eingegangen. Ich probierte zuerst Taruns Nummer. Am Samstag, nachdem er den Abend zuvor aus dem »Goldenen Adler« geflohen war, hatte ich ihm ein eigenes Handy gekauft, zu seiner Sicherheit. Es war tot.
Ich rief Oliver an und schilderte ihm verzweifelt, was geschehen war. Er wollte sofort die Polizei verständigen. Ich war immer noch nicht in der Lage zu laufen.
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