Drei Dichter ihres Lebens
gleichen glühenden und maßlosen Idealität in ein erkaltendes Jahrhundert hinein, Schwärmer sie alle für Napoleon, für das Heroische, für das Große, für die Freiheit; alle suchen sie aus dem Überschwang des Gefühls zuerst eine höhere, geistigere, beschwingtere Form, als sie das wirkliche Leben verstattet. Alle drei tragen sie ein verworrenes, unberührtes Herz voll verhaltener Leidenschaft den Frauen entgegen. Und alle drei werden sie grausam erweckt durch die schneidende Erkenntnis, daß man inmitten einer Frostwelt und Widerwelt sein heißes Herz verstecken, sein Schwärmertum verleugnen müsse; ihr reiner Anlauf zerschellt an der Kleinlichkeit und Bürgerangst der »Andern«, jener ewigen Feinde Stendhals. Allmählich lernen sie die Schliche ihrer Gegner, die Geschicklichkeit der kleinen Ränkespiele, die gerissenen Berechnungen, sie werden raffiniert, lügnerisch, weltmännisch und kalt. Oder noch ärger: sie werden klug, so rechenklug und egoistisch wie der alternde Stendhal, sie werden brillante Diplomaten, Geschäftsgenies und superbe Bischöfe; kurzum, sie paktieren mit der Wirklichkeit und passen sich ihr an, sobald sie aus ihrem wahren Seelenreich, dem der Jugend und reinen Idealität, sich schmerzhaft verstoßen fühlen.
Um dieser drei Jünglinge willen, oder vielmehr um des jungen verschollenen Menschen willen, der einmal heimlich in seiner Brust geatmet, um »sa vie a vingt ans«, um sich, den Zwanzigjährigen, noch einmal leidenschaftlich zu erleben, hat der fünfzigjährige Henri Beyle diese Romane geschrieben. Als ein wissender, kühler und enttäuschter Geist erzählt er in ihnen die Jugend seines Herzens, als kunstwissender, klarer Intellektualist schildert er die ewige Romantik des Anbeginns. So vereinen die Romane wunderbar den Urgegensatz seines Wesens; hier ist mit der Klarheit des Alters die edle Verwirrung der Jugend gestaltet und Stendhals Lebenskampf zwischen Geist und Gefühl, zwischen Realismus und Romantik sieghaft ausgefochten in drei unvergeßlichen Schlachten, jede so dauerhaft dem Gedächtnis der Menschheit wie Marengo, Waterloo und Austerlitz.
Diese drei Jünglinge, obzwar verschiedenen Schicksals, anderer Rasse und anderen Charakters, sind Brüder im Gefühl: ihr Schöpfer hat ihnen das Romantische seines Naturellsvererbt und zu entfalten gegeben. Und ebenso sind ihre drei Gegenspieler einer; der Graf Mosca, der Bankier Leuwen und der Comte de la Môle, sie sind abermals Beyle, aber der ganz zu Geist kristallisierte Intellektualist, der späte, der kluggewordene alte Mann, in dem von den Röntgenstrahlen der Vernunft allmählich alle Idealitäten ausgebrannt und vertilgt sind. Diese drei Gegenspieler zeigen symbolisch, was das Leben aus dem Jüngling schließlich macht, wie der »exalté en tout genre se dégoûte et s'éclaire peu à peu« (Henri Beyle über sein eigenes Leben). Das heroische Schwärmertum ist abgestorben, nun ersetzt die triste Überlegenheit der Taktik und Praktik den zauberischen Rausch, eine kalte Spiellust die elementare Leidenschaft. Sie regieren die Welt, Graf Mosca ein Fürstentum, der Bankier Leuwen die Börse, der Graf de la Môle die Diplomatie, aber sie lieben nicht die Marionetten, die an ihren Schnüren tanzen, sie verachten, eben weil sie zu nah, zu deutlich ihre Erbärmlichkeit kennen, die Menschen. Noch vermögen sie Schönheit und Heroismus nachzufühlen, aber nachzufühlen nur, und würden alle ihre Erfüllungen tauschen gegen die dumpfe, wirre, ungeschickte Sehnsüchtigkeit der Jugend, die nichts erlangt und ewig alles erträumt. Wie Antonio, der kaltwissende, kluge Adelsmensch neben Tasso, dem jungen und glühenden Dichter, so stehen diese Prosaisten des Daseins halb hilfreich und halb feindlich, halb verächtlich und im geheimsten doch neidisch dem jugendlichen Rivalen entgegen wie der Geist dem Gefühl, wie die Wachheit dem Traum.
Zwischen diesen beiden ewigen Polen des männlichen Schicksals, der knabenhaft wirren Sehnsucht nach Schönheit und dem sichern, ironisch überlegenen Willen zur realen Macht, kreist die Stendhalsche Welt. Den Jünglingen, den scheu und brennend Begehrenden, treten Frauen entgegen, sie fangen ihre brausende Sehnsucht auf in klingender Schale, sie besänftigen durch die Musik ihrer Güte die zornige Unerlöstheit ihres Verlangens. Rein lassen sie ihr Gefühl entlodern, diese milden, selbst in der Leidenschaft noch edlen Frauen Stendhals, die Madame de Rênal, die Madame de Chasteller, die Duchezza di
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