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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Geheimnis seines Mitfühlens will Stendhal, der Romanschriftsteller, um jeden Preis verbergen. Er schämt sich, von einem zufälligen und am Ende ironischen Leser erraten zu lassen, wieviel seiner Seele er nackt macht in diesen imaginären Juliens, Luciens und Fabrizios. Darum stellt Stendhal sich in seinen epischen Werken absichtlich steinkalt, er frostet absichtlich seinen Stil: »Je fais tous les efforts, pour être sec.« Lieber hart scheinen als larmoyant, lieber kunstlos als pathetisch, lieber Logik alsLyrik! So hat er das inzwischen bis zum Erbrechen durchgekaute Wort in die Welt gesetzt, er lese jeden Morgen vor der Arbeit das Bürgerliche Gesetzbuch, um sich gewaltsam an den trockenen und sachlichen Stil zu gewöhnen. Aber Stendhal meinte damit beileibe nicht Trockenheit als sein Ideal: in Wahrheit suchte er mit seiner »amour exagéré de la logique«, mit seiner Klarheitsleidenschaft einzig den unbemerkbaren Stil, der hinter der Darstellung gleichsam verdunstet: »Le style doit être comme un vernis transparent: il ne doit pas altérer les couleurs ou les faits et pensées, sur lesquels il est placé.« Das Wort soll sich nicht lyrisch mit kunstvollen Koloraturen, den »fiorituri« der italienischen Oper, vordrängen, im Gegenteil, es soll hinter dem Gegenständlichen verschwinden, es soll wie der gutgeschnittene Anzug eines Gentleman unauffällig bleiben und nur die Seelenbewegung exakt deutlich zum Ausdruck bringen. Denn Deutlichkeit, darum geht es Stendhal vor allem: sein gallischer Klarheitsinstinkt haßt jedes Verschwommene, Vernebelte, Dickaufgequollene, und vor allem jenen selbstgenießerischen Sentimentalismus, den Jean-Jacques Rousseau in die französische Literatur importierte. Er will Klarheit und Wahrheit auch im verworrensten Gefühl, Helligkeit hinab bis in die verschattetsten Labyrinthe des Herzens. »Écrire«, Schreiben heißt für ihn »anatomiser«, also die gemengte Empfindung zerlegen in ihre Bestandteile, die Hitze messen nach ihren Graden, die Leidenschaft klinisch beobachten wie eine Krankheit. Nur wer seine Tiefen klar mißt, genießt mannhaft und wahrhaft seine eigene Tiefe, nur wer seine Verwirrung beobachtet, kennt die Schönheit des eigenen Gefühls. So übt Stendhal nichts lieber als die alte Persertugend, mit wachem Geist zu überdenken, was das ekstatische Herz im schwärmerischen Rausche verrät: mit der Seele ihr seligster Diener, bleibt er mit seiner Logik gleichzeitig Herr seiner Leidenschaft.
    Sein Herz erkennen, durch den Verstand das Geheimnis der Leidenschaftlichkeit steigern, indem man sie ergründet: das ist die Formel Stendhals. Und genau wie er empfinden seine Seelensöhne, seine Helden. Auch sie wollen sich nicht düpieren lassen vom blinden Gefühl; sie wollen es überwachen, belauschen, ergründen, analysieren, sie wollen ihr Gefühl nicht nur fühlen , sondern zugleich verstehen . Ständig prüfen sie sich mißtrauisch, ob ihre Emotion echt sei oderfalsch, ob hinter ihr nicht noch versteckt eine andere, noch tiefere Empfindung sich berge. Wenn sie lieben, stellen sie immer zwischendurch das Schwungrad ab und überprüfen den Zähler nach dem Druck der Atmosphären, unter dem sie stehen. Unablässig fragen sie sich: »Liebe ich sie schon? Liebe ich sie noch? Was fühle ich in dieser Empfindung, und warum fühle ich nicht mehr? Ist meine Neigung echt oder erzwungen, oder berede ich mich nur zu ihr, oder schauspielere ich mir etwas vor?« Ständig haben sie die Hand am Puls ihrer Wallungen, sie merken sofort, wenn nur einen Takt lang die Fieberkurve der Erregung stockt. Selbst an den reißendsten Stromschnellen des Geschehens unterbricht das ewige »pensait-il«, »disait-il à soi même«, dies »dachte er«, dies »sagte er sich« den ungeduldigen Gang der Erzählung; zu jedem Muskelgriff, zu jedem Nervenriß suchen sie wie Physiker oder Physiologen intellektuellen Kommentar. Ich wähle da als Beispiel die Darstellung jener berühmten Liebesszene aus »Le Rouge et le Noir«, um darzulegen, wie kopfhaft, wie hellsichtig überwach Stendhal seine Gestalten selbst in dem doch hitzigen Augenblick einer jungfräulichen Hingabe sich gebärden läßt; Julien wagt sein Leben, um nachts ein Uhr mit einer Leiter neben dem offenen Fenster der Mutter zu Fräulein de la Môle einzusteigen – ein Akt passionierter Berechnung, von romantischem Herzen ersonnen. Aber mitten in ihrer Leidenschaft werden beide sofort Verstand. »Julien war sehr verlegen, er wußte nicht, wie

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