Drei Dichter ihres Lebens
Sanseverina; aber selbst heilige Hingabe kann ihren Geliebten nicht die erstlingshafte Reinheit der Seele bewahren, denn bei jedem Schritt ins Leben treten diese jungen Menschen tiefer in den Morast dermenschlichen Gemeinheit. Ihnen entgegen, dem erhebenden, die Seele süß ausweitenden Element der heroischen Frauen, steht hier wie immer die gemeine Wirklichkeit, das pöbelhaft Praktische, das schlangenkluge, schlangenkalte Gezücht der kleinen Intriganten, der Streber – der Menschen kurzweg, wie sie Stendhal in seinem Verachtungsgrimm gegen das Mittelmäßige zu sehen beliebt. Während er die Frauen aus der romantischen Optik seiner Jugend verklärt, als alter Mann noch immer verliebt in die Liebe, stößt er gleichzeitig mit dem ganzen aufgestauten Zorn den Klüngel der niedern Schächer in die Handlung wie zur Schlachtbank hinein. Aus Dreck und Feuer formt er diese Richter, Staatsanwälte, Ministerchen, Paradeoffiziere, Salonschwätzer, diese kleinen Klatschseelen, klebrig und nachgiebig jeder einzelne wie Kot, aber: ewiges Verhängnis! all diese Nullen zusammengereiht schwellen zu Zahl und Überzahl, und wie immer auf Erden, gelingt es ihnen, das Sublime zu erdrücken. So wechselt innerhalb seines epischen Stils die tragische Melancholie des unheilbaren Schwärmers mit der dolchhaft zustoßenden Ironie des Enttäuschten. Die wirkliche Welt hat Stendhal in seinen Romanen mit dem gleichen Haß geschildert wie die idealisch imaginäre mit der schwelenden Glut seiner Leidenschaft, Meister in dieser und jener Sphäre, doppelweltig und heimisch in Geist und Gefühl.
Gerade das aber verleiht den Romanen Stendhals ihren besonderen Reiz und Rang, daß sie Spätwerke sind, jugendlich im Gefühl und wissend überlegen im Gedanklichen. Denn nur Distanz vermag Sinn und Schönheit jeder Leidenschaft schöpferisch zu erklären. »Un homme dans les transports de la passion ne distingue pas les nuances« – der Ergriffene selbst weiß im Augenblick der Ergriffenheit nicht um die Nuancen seiner Empfindung; er kann vielleicht lyrisch und hymnisch seine Ekstasen ins Uferlose rollen lassen, nie aber sie erklären und episch deuten. Die wahrhafte, die epische Analyse fordert immer Klarsichtigkeit, beruhigtes Blut, wachen Verstand, ein Schon-über-der-Leidenschaft-Sein. Stendhals Romane nun haben herrlich dieses gleichzeitig Innen und Außen; hier schildert gerade an der Grenze zwischen Aufstieg und Abklang der Männlichkeit ein Künstler wissend das Gefühl; er fühlt seine Leidenschaft nochmals ergriffen nach, aber er versteht sie schon und ist befähigt, sievon innen heraus zu dichten, von außen her zu begrenzen. Und dies allein bedeutet ja im Romane Stendhals Antrieb und tiefste Lust, das Innere, das Inwendige seiner neugespielten Leidenschaft zu betrachten – das äußerliche Geschehnis dagegen, das technisch Romanhafte gilt dem Künstler herzlich gering, und er schludert es ziemlich improvisatorisch herunter (er gesteht selbst, am Ende eines Kapitels nie gewußt zu haben, was im nächsten geschehen solle). Einzig vom innern Wellengang her haben seine Werke Kunstkraft und Bewegtheit. Sie sind am schönsten dort, wo man merkt, daß sie seelisch mitgefühlt sind, und am unvergleichlichsten, wo Stendhals eigene scheue und verdeckte Seele den Worten und Taten seiner Lieblinge einströmt, wo er seine Menschen leiden läßt an der eigenen Zwiefalt. Die Schilderung der Schlacht von Waterloo in der »Chartreuse de Parme« ist eine solche geniale Abbreviatur seiner ganzen italienischen Jugendjahre: wie er selbst nach Italien, so zieht sein Julien zu Napoleon, um auf den Schlachtfeldern das Heroische zu finden, aber Zug um Zug entreißt ihm die Wirklichkeit seine idealistischen Vorstellungen. Statt klirrender Reiterattacken erlebt er das sinnlose Durcheinander der modernen Schlacht, statt der Grande Armée findet er eine Rotte fluchender, zynischer Kriegsknechte, statt der Helden den Menschen, gleich mittelmäßig und dutzendhaft unter dem bunten wie dem gewöhnlichen Rock. Solche Augenblicke der Ernüchterung sind einzig meisterlich bei ihm belichtet: wie in unserm irdischen Weltraum die Ekstatik der Seele immer wieder an der exakten Wirklichkeit zuschanden wird, das hat kein Künstler zu vollendeterer Intensität gebracht. Nur, wo er seinen Menschen von seinem eigensten Erlebnis gibt, wird er Künstler über seinen Kunstverstand hinaus: »Quand il était sans émotion, il était sans esprit.«
Doch sonderbar: gerade dieses
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