Drei Eichen (German Edition)
Adelgundiskapelle gingen. Hier sollten sie nach der standesamtlichen Trauung auch katholisch korrekt den Bund fürs Leben schließen. Noch immer hatte er das merkwürdige Gefühl der undefinierbaren Bedrohung im Bauch, während Susanne sich fröhlich plappernd mit ihrer Brautjungfer die Zeit verkürzte.
An der Staffelbergklause warteten sie, bis alle Gäste aufgeschlossen hatten, dann schritten sie zur Kapelle, um dort vom Bamberger Weihbischof, auch »Weiberschorsch« Klepper genannt, getraut zu werden. An der Kapelle legte Josef Simon seine Hand auf die Klinke, um die Tür zu öffnen. Sie schien zu klemmen, er musste kräftig ziehen. Als sich das Türblatt endlich bewegte und er ins Kapelleninnere sehen konnte, erstarrte er. Für einen Moment war es ihm, als würde eiskaltes Blut durch seine Adern fließen. Vor ihm auf Augenhöhe baumelte an einer Paketschnur ein Stück Sandstein in der Größe eines Taubeneies. Der Stein stürzte ihn in ein gefühlsmäßiges Chaos, genau so einen Stein hatte ihm irgendwer bereits mit der Post geschickt. Unbeweglich stand er da und starrte ihn an.
»Was hast du denn?«, fragte Susanne. Sie verstand nicht, warum er nicht umgehend in die Kapelle hineinging, um den freudigen Akt zu vollziehen, dann entdeckte auch sie das Utensil an der Schnur. »Ach, wie hübsch! Das ist bestimmt so ein alter keltischer Brauch aus Menosgada«, sagte sie belustigt und nahm den Stein kurz in die Hand, um ihn sofort wieder baumeln zu lassen. »Aber die alten Kelten gibt’s schon lange nicht mehr auf dem Staffelberg. Jetzt wird sich getraut, Herr Simon!« Ungeduldig öffnete sie die Tür mit beiden Händen zur Gänze.
Sofort erwachte Josef Simon aus seiner Starre und beschloss, nicht in die Kapelle zu gehen. Alles in ihm sträubte sich dagegen. »Lass uns zuerst das Scheißfoto machen.« Nervös zog er Susanne nach links weg und winkte dem Fotografen. Susanne war nun doch leicht irritiert, verkniff sich aber aufgrund der Vehemenz seiner Anweisung einen Kommentar. Wenn er so drauf war wie jetzt, duldete er keine Widerrede, so gut kannte sie ihren Ehemann schon. Sie baten die Gäste, an der Staffelbergklause zu warten, um für einen Moment allein zu sein. Die Hochzeitsgesellschaft riss ein paar Sprüche, akzeptierte aber den Wunsch sofort, schließlich stand schon überall Prosecco bereit.
Der Fotograf ging mit ihnen zur Südseite des Gotteshauses und postierte das Ehepaar vor zwei Bäumen, um durch das Blattwerk hindurch ins Gegenlicht zu fotografieren. Nervös beobachtete Josef Simon den Fotografen, als dieser umständlich an seinem Stativ nestelte. Seine Frau schmiegte sich währenddessen an ihn und lächelte bereits in Richtung Objektiv, obwohl die Vorbereitungen zum perfekten Hochzeitsbild noch im vollen Gange waren.
Josef Simon ließ seinen Blick erneut über die Szenerie schweifen: die Kapelle, weiter hinten die Gäste an der Staffelbergklause. Als Vogelgezwitscher an seine Ohren drang, bemächtigten sich seiner endlich und ganz langsam Ruhe und Gelassenheit, die er den ganzen Tag schon vermisst hatte.
Und jetzt Schluss mit dieser bescheuerten Panik, alles ist gut, dachte er. Er ärgerte sich über sich selbst und stellte sich für den Fotografen in Positur. Einen Moment später spürte er an seinem Rücken einen Stoß, dann durchfuhr ein stechender Schmerz seine Brust. Er konnte nicht sehen, was ihn da von hinten getroffen hatte, aber er wusste sofort, was diesen Schmerz verursachte. Eine Pfeilspitze ragte vorn aus seinem sündhaft teuren Hemd, Blut breitete sich in Brusthöhe auf der strahlend weißen Seide aus, und Josef Simon realisierte erstaunt, dass er sterben würde.
Für das modernste Windrad Europas, das nun auf dem höchsten Punkt der Eierberge errichtet wurde, war es der genehmigungsrechtliche Durchbruch gewesen, aus Sicht der bayerischen Staatsregierung eher ein grenzwertiger Kuhhandel. Aber lieber ein paar Windräder an eigentlich nicht genehmigungsfähigen Standorten als radikale Franken an der nördlichen Landesgrenze, so die stille Hoffnung der Männer in der Staatskanzlei in München.
So kam es, dass die Firma Fiesder aus Hohengüßbach unverhofft einen äußerst lukrativen Auftrag erhielt. Natürlich auf legalem Weg der öffentlichen Ausschreibung, wie der Chef der Firma, Georg Fiesder, nicht müde wurde zu betonen.
Das alles interessierte Bauleiter Hubert Fiederling indes reichlich wenig. Er war hier, um ein Loch zu graben. Und zwar ein sehr tiefes Loch. Genauer gesagt
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