Drei Frauen im R4
Figuren und dazwischen, als stimmungsvolle Dekoration, getrocknete Blumen, Knoblauchzöpfe und Zwiebelarrangements.
Wir zündeten uns eine Zigarette an. Es fühlte sich an, als wäre es fünf vor zwölf und als wäre Neujahr nicht mehr weit.
Aus heiterem Himmel überlegte Renate plötzlich laut, ob es nicht doch vernünftiger sei, es bei den Träumen und Vorstellungen zu belassen. Sie stoppte und sah uns an.
»Ich kann nicht«, gestand sie uns mit verzagter Stimme. »Wenn nun alles ganz schrecklich ist! Habt ihr das Schild mit dem Hotel gesehen? Ich kann nicht. Ich fürchte mich vor der Erinnerung, die gleich zerstört wird.«
»Aber deine Erinnerung wird dir doch gar nicht genommen!«, sprach Nele besänftigend auf sie ein.
»Und wer sagt denn, dass nicht gerade dieses Hotel ein ganz besonderes ist. Vielleicht hat es mit der alten Zeit gar nichts zu tun. Oder ganz viel. Wir werden es gleich sehen.«
»Ach, dieses Wiederkommen, es gefällt mir nicht«, bewegte sich Renate keinen Meter weiter.
»Wer wiederkommen will, muss erst einmal weggehen«, erinnerte sie Nele an Einer, ein Bilderbuch von Janosch und Christine Nöstlinger, dessen Weisheit uns vor all den Jahren schon inspiriert hatte.
»Keiner bleibt so, wie er war«, gab nun auch ich meinen Senf in die wackelige Stimmung. »Und wir fahren ja nicht hin, um etwas zu suchen, sondern weil wir bereits ganz viel gefunden haben.«
»Wir schauen um die Ecke, und dann fahren wir wieder weg«, versuchte es Nele ein letztes Mal, und dieser Vorschlag passte offenbar.
»Ich brauche noch eine Pause«, wünschte sich Renate. Nele sah zu mir nach hinten, und ich zuckte mit den Achseln. Keine Ahnung, bedeutete ich ihr, wohin uns diese Pause führt. Bei Renate war jetzt alles möglich. Fliehen oder bleiben, und ganz ehrlich, ihr Zaudern konnte ich gut verstehen.
»Ich weiß nicht, was ich an deiner Stelle täte«, signalisierte ich ihr und setzte mich mit ihr und Nele auf eine der Wiesen.
»Ich sitze am Straßenhang.
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
mit Ungeduld?«, kam Nele das Gedicht von Bertolt Brecht in den Sinn, das uns schon durch manch lange Situation geführt hatte. Und ja, wir waren ungeduldig und wir brauchten eine Pause.
»Ich habe gedacht, dass es mir leichter fällt«, weinte Renate.
»Hast du nicht gedacht«, erklärte ihr Nele nüchtern. »Wir alle wussten, dass dieser Moment merkwürdig und reizvoll ist. Kann sein, dass da noch die alten Kommunarden sind und die Bretterverschläge noch immer stehen …«
»… das waren keine Verschläge«, nahm es Renate jetzt genau.
»Kann sein, dass alles noch mehr anders ist, als wir uns das jetzt vorstellen können.«
» Mit früher ist heute vorbei «, antwortete ich mit dem Titel eines Albums von Ina Deter.
»Du bist eine wunderschöne Frau«, meinte mit einem Mal Nele, so als könnte sie die unbeschreiblich weiblichen Gedanken von Renate lesen.
»Nicht zu faltig?«, fragte sie und zog die Nase hoch.
»Keine Spur«, antwortete Nele brav und treu.
»Wirklich nicht … Renate … bitte!«, unterstützte ich Nele in ihrem Versuch, Renate moralisch etwas zu stärken. »Nur deine Armschinken, die sind echt ein Graus!«
»Trudi!«, entfuhr es Nele.
»Du Sau!«, stieß mich Renate rücklings in die Wiese, und ich dachte im Hinfallen immer nur den einen Satz: »Jetzt abrollen nach Kindergartenart«. Obwohl mein Sturz gefährlich war, war er hilfreich und bitter nötig. Und zum Glück verrenkte ich mir dabei nichts. Renate hatte sich Luft gemacht, so wie wir uns als Jugendliche mit Rangeln Luft gemacht hatten, wenn es etwas Schwieriges zu überdenken galt. »Du Ekel!«, schlug sie lachend auf mich ein, und wir zwickten uns so lange gegenseitig, bis wir erleichtert lachten und Nele sich zu uns in das Geknäuel warf.
»Hört ihr die Stille?«, meinte Nele auf einmal atemlos, und wir beruhigten uns, wurden ganz still und sahen in den Himmel. Da war nichts. Kein Lärm der Straße, keine Flugzeuge in der Luft, nur das Sirren im Gras und der Flügelschlag einer Libelle, die vor uns tanzte.
Endlich kamen unsere Seelen an.
»Okay.« Renate sah uns mit einem Mal entschlossen an. »Nun ist es gut. Nun kann ich das.« Sie küsste Nele und mich auf die Wangen.
»Und wenn es ihn nicht mehr gibt und wenn er mich hässlich findet …«
»… und wenn er dreizehn Kinder hat und einen dicken Bauch …«
»… und
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