Drei Frauen im R4
um Kilometer flogen wir dahin, und wenn wir das Fenster öffneten, dann kam es mir so vor, als ob die Luft mit jeder Stunde etwas wärmer wurde. Nur eine kurze Pause unterbrach die Fahrt.
»Muss sein!«, erklärte Erika hellwach und machte auf dem Parkplatz die Turnübungen, die in den 80ern als Gesundheitstipps für Autofahrer empfohlen worden waren. Unter dem dunklen Nachthimmel und nur von einer lumpigen Parkplatzlaterne beleuchtet, sahen ihre Streck- und Dehnbewegungen wie ein lustiges Schattentheater aus. Wir liefen los, uns die Hände zu waschen, Fips markierte etwa dreißig Bäume, und dann kuschelten wir uns wieder in dieses Häuschen auf vielen Rädern. Wir ahnten, noch ein bisschen links und ein bisschen rechts und nicht mehr weit, dann sind wir da. Fünfhundert Kilometer können sehr schnell gefahren werden, wenn man die Autobahn benutzt und der R4 getragen wird. Viel zu schnell verfliegen sie. Schon sah ich mich bei der Ankunft wie ein alter Indianer auf die Erde setzen und auf die Ankunft meiner Seele warten.
»Ich bin total entschleunigt«, nuschelte ich im Schlaf.
Es war eine glatte, stille und ruhige Fahrt, die auch an der Grenze nicht wesentlich unterbrochen wurde, denn Erika war bei den Zöllnern sehr beliebt. Sie fielen ihr fast um den Hals, umarmten sie und ließen sich die letzten Fahrtgeschichten ausführlich erzählen.
Und dann, nach sieben Stunden Fahrt, ohne Stau, dafür mit einem Gemisch aus Schlager-, Rock- und Volksmusik, kamen wir in der Emilia-Romagna an. Renate wurde langsam wach und blickte sich neugierig und erstaunt um.
»Boah«, sagte sie nur. »Ich kenn mich gar nicht mehr aus.«
Die Städte waren gewachsen, die Ausläufer und Vororte hatten sich bis aufs Land geschoben. Industrie- und Wohngebiete waren neu dazugekommen, aber es gab immer noch Felder mit Pfirsich- und Aprikosenbäumen, die voller Früchte hingen oder in zweiter Blüte blühten. An den Straßen wurde in Holzverschlägen frisches Obst, Gemüse und Wein zum Verkauf angeboten. Ein bisschen wie bei uns zu Hause in der Pfalz, dachte ich. Nur wärmer ist es hier und sicherlich auch wesentlich entspannter.
»Eben Italien«, träumte Nele laut.
Wir waren in Italien.
Wir hatten es geschafft.
Bald schon kurbelte Erika die Schienen an der Ladefläche herunter, und Fuchur rollte rückwärts auf den festen Boden.
»Ihr Mädels, es mir ’ne Ähre.« Sie umarmte uns und winkte ab, als wir sie mit Dank überschütten wollten. »Man sieht sisch immer zweimal, und ich freu mich auf unseren nächsten gemeinsamen Trip! Haltet die Ohren steif, wat anderet geht bei euch ja nit. Har. Har. Har.«
Mit diesen Worten brummte sie weiter, winkte uns noch einmal aus der Ferne zu, es war Frühstückszeit, wir hatten Tränen in den Augen und fühlten uns reich beschenkt, weil bis zu dieser Nacht keine von uns mit solch einer Mutti im Truck gefahren war.
»Nu isses so weit«, erklärte Renate feierlich. »Aus Spaß wird Ernst.«
»Und Ernst ist heute zwei Jahre«, vollendeten Nele und ich den alten Satz.
Wir sahen uns um, spürten die Luft, nahmen die Landschaft in uns auf, hörten die knatternden Mopeds, das Rufen und rochen die Abgase von zu billigem Sprit, der heimlich in die Tanks geschüttet worden war. Renate wurde ganz still. Ihre Augen hingen in der Landschaft, die in der Morgensonne erstrahlte. Sie scannte konzentriert die Umgebung ab. Dreißig Jahre waren vergangen, seit sie hier gewesen war. Dreißig Jahre hatte unser gemeinsamer Weg an diesen Platz gebraucht.
Ich war so dankbar, dass wir auch nach fast vierzig Jahren noch befreundet waren. Welche Erlebnisse uns doch verbanden. Die ersten heimlichen Nachtwanderungen, wenn wir aus den Elternhäusern ausgestiegen waren. Die erste Regel (»Juchhuuu!«), die Entjungferung (»War das schon Sex?«), die Kinder (»Ist das wirklich meins?«), die Männer (»Was ist das?«), die Berufe (»Wie geht’s jetzt weiter?«), die Wechseljahre (»Juchhuuu!«) und jetzt wieder diese Neuanfänge.
»Also dann, fahren wir mal los«, bestimmte Renate mit einem Mal das Tempo und setzte sich hinter Fuchurs Lenkrad.
Ich nahm wie zu Beginn der Reise auf der Rückbank Platz, auch wenn jetzt keine Fluchtgefahr mehr bestand.
»Was für Musik?«, erkundigte ich mich interessiert, denn große Momente verlangen nach großen Akkorden. Aber ich war mir nicht sicher, was sie wählen würde, denn von Eloy bis Vico Torriani ist in solchen Momenten alles drin.
»Ich will den Boss hören«, entschied
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