Drei Frauen und los: Roman (German Edition)
die Kette wertvoll ist, denn sie hat noch nie etwas Wertvolles in der Hand gehabt. Ihr Ehering, den sie zurückgelassen hat, sah aus wie ein Vorhangring und hat auch kaum mehr gekostet. Ein deutliches Zeichen der Armut. Dieses zarte, hübsche Schmuckstück ist ziemlich schwer, das Gold ist angelaufen, wie das häufig bei Antiquitäten der Fall ist. Das ist Schmuck, wie sie ihn in Schaufenstern bewundert hat. Die Steine, winzige Halbmonde, die in einer Reihe gefasst sind, glänzen im Licht. Schon deshalb, weil sie den Blick nicht abwenden kann, weiß sie, dass die Diamanten echt sind.
Sie steht auf. Während sie sich in dem gesprungenen Spiegel über dem Waschbecken ansieht, legt sie sich das Halsband um.
Es passt wie angegossen. Die kleinen Edelsteine stehen ihr. Die Kette ist nicht zu eng, sondern liegt genau auf ihren Schlüsselbeinen. Die Diamanten sind atemberaubend. Selbst in diesem Zwielicht glitzern sie, lassen ihr ernstes Gesicht strahlend und lebhaft wirken.
Rita wölbt den Nacken und stellt sich einen Moment lang vor, sie sei eine elegante Frau. Königlich. Einzigartig.
Dann legt sie die Hand wieder an die Kette, spürt die Kühle der Glieder auf ihrer Haut. Ich muss nicht die sein, die ich bin. Zum ersten Mal in ihrem Leben tritt dieser Gedanke in ihr Bewusstsein und verschwindet wieder. Sie ruft ihn zurück. Was für eine wagemutige Vorstellung: Ich bin nicht dazu verpflichtet, mein Leben lang dieselbe Person zu sein. Ihr Herz schlägt etwas schneller, und dieses Gefühl, diese Beschleunigung des Herzschlags durch die Aufregung, ist auf so erschreckende Weise unvertraut, dass sie die Halskette wieder löst und in Tracees Handtasche zurücklegt.
Sie sucht noch ein bisschen in der Tasche herum, findet nur einen Kugelschreiber, überlegt, ob sie ihn benutzen soll, und entscheidet sich dagegen. Dann setzt sie sich hin und wartet darauf, dass Lana und Tracee aufwachen. Bei Lana passiert es ganz plötzlich, indem sie verkündet: »Ich muss zu einem Meeting«, als hätte sie das im Schlaf entschieden. Sie schüttelt Tracee wach und wiederholt: »Ich muss zu einem Meeting.«
Sie spritzen sich alle Wasser ins Gesicht und tupfen sich mit Papierhandtüchern trocken. Mit Seife aus dem Spender reiben sie sich über die Zähne, was Tracee zum Würgen bringt. Lana nimmt den Spiegel in Beschlag, allerdings will ihn ohnehin keine der anderen. Sie wirft ihr Haar hierhin und dorthin, wohl die beste Stylingmethode für Haare, die völlig unterschiedlich lang sind und aussehen, als seien sie im Dunkeln geschnitten worden. Was stimmt, sie wollte es mal ausprobieren. Sie schiebt ihr T-Shirt so zurecht, dass das Goldfisch-Tattoo unter dem Schlüsselbein verdeckt ist – eine Erinnerung an all die dämlichen Dinge, die sie im Suff gemacht hat. Ihre drei anderen Tattoos, auch das allerpeinlichste – der Name eines Typen, Trent (jemand, mit dem sie eine Woche lang zusammen war) –, sind nur zu sehen, wenn sie nackt ist. Lana hat eine gut geformte Taille und eine kurvenreiche Figur. Nachdem sie ihr Dekolleté jahrelang in engen, tief ausgeschnittenen Oberteilen durch eine ganze Reihe von Bars getragen hat, versteckt sie ihre Reize jetzt. Ihr schlammgrünes T-Shirt ist groß und weit. Ihr Haar ist kupferfarben, und sie hat weit auseinanderstehende dunkelbraune Augen, die ernst und prüfend und oft misstrauisch blicken. Ihr Lächeln hebt sie sich für Momente von Ironie oder Schadenfreude auf. An diesem wie fast an jedem Morgen betrachtet sie unzufrieden ihr Spiegelbild. Ein Leben voll männlicher Komplimente kann die mangelnde Anerkennung einer Mutter nicht ersetzen.
Während Lana finster in den Spiegel schaut und sich Mühe gibt, das, was sie sieht, zu mögen, steckt Tracee ihre vielen weichen, schwarzen Locken mit Haarklammern aus dem Gesicht. Trotz der zahlreichen Lipgloss-Döschen in ihrer Handtasche leiht sie sich das von Lana aus, tupft ein bisschen davon auf die Lippen und verreibt es mit dem Finger. Sie benutzt kein Make-up, das tut sie nie. Ihr ungekünsteltes Auftreten, ihre Schlaksigkeit und ihre natürliche Schönheit – die Haut wie Porzellan und große, graue Augen, die in ihrem schmalen, fein geschnittenen Gesicht etwas zu viel Platz einnehmen – verraten sofort: Das Kind, das sie war, steckt immer noch in ihr.
Tracee hebt ihr Hochzeitskleid von der Trennwand, über die es drapiert war. »Ich werde mein Kleid über den Arm nehmen und einfach dieses Hemd und den Unterrock anbehalten.« Ihre Stimme hebt sich,
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