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Drei Kameraden

Drei Kameraden

Titel: Drei Kameraden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Rankengewächsen standen auf der Fensterbank. Es waren immer dieselben Zeitschriften in braunen Umschlägen und immer dieselben traurigen Rankengewächse; man fand sie nur in Wartezimmern von Ärzten und Krankenhäusern.
     Jaffé kam herein. Er trug einen schneeweißen Mantel, der noch die Plättkniffe zeigte. Aber als er sich zu mir setzte, sah ich an der Innenseite des rechten Ärmels einen ganz kleinen hellroten Blutspritzer. Ich hatte in meinem Leben viel Blut gesehen – aber dieser winzige Fleck wirkte auf einmal beklemmender auf mich als noch so viele blutgetränkte Verbände. Meine zuversichtliche Stimmung erlosch.
     »Ich habe Ihnen versprochen zu sagen, wie es mit Fräulein Hollmann steht«, sagte Jaffé.
     Ich nickte und sah auf die Tischdecke. Sie hatte ein buntes Plüschmuster. Ich starrte auf die ineinander geschachtelten Sechsecke und hatte das verrückte Gefühl, daß alles gut gehen würde, wenn ich nur aushaken und nicht blinzeln müßte, ehe Jaffé weitersprach.
     »Sie war vor zwei Jahren sechs Monate im Sanatorium.
    Wissen Sie das?«
    »Nein«, sagte ich und sah weiter auf die Tischdecke.
    »Es hatte sich danach gebessert. Ich habe sie jetzt genau
    untersucht. Sie muß diesen Winter unbedingt noch einmal hin. Sie kann nicht hier in der Stadt bleiben.«
     Ich blickte noch immer auf die Sechsecke. Sie verschwammen und begannen zu tanzen. »Wann muß sie fort?« fragte ich.
     »Im Herbst. Spätestens Ende Oktober.«
     »Es war also keine vorübergehende Blutung?«
     »Nein.«
     Ich hob die Augen. »Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen«, fuhr Jaffé fort, »daß diese Krankheit ganz unberechenbar ist. Vor einem Jahr schien sie zu stehen, die Verkapselung war eingetreten, und es war anzunehmen, daß sie geschlossen blieb. Ebenso, wie sie jetzt wieder aufgebrochen ist, kann sie überraschend wieder zum Stillstand kommen. Ich sage das nicht so daher – es ist wirklich so. Ich selbst habe merkwürdige Heilungen erlebt.«
     »Verschlimmerungen auch?«
     Er sah mich an. »Das auch, natürlich.«
     Er begann mir die Einzelheiten zu erklären. Beide Lungenflügel waren angegriffen, der rechte weniger, der linke stärker. Dann unterbrach er sich und klingelte nach der Schwester.
     »Holen Sie einmal meine Mappe.«
    Die Schwester brachte sie. Jaffé nahm zwei große Fotografien heraus. Er zog die knisternden Umschläge herab und hielt sie gegen das Fenster. »So sehen Sie es besser. Hier haben wir die Röntgenbilder.«
     Ich sah die Wirbel eines Rückens auf der durchscheinenden grauen Platte, die Schulterblätter, die Schlüsselbeine, die Gelenkpfannen der Oberarme und die flachen Bogen der Rippen. Aber ich sah mehr als das – ich sah ein Skelett. Dunkel und gespenstisch hob es sich von den fahlen, ineinander verfließenden Schatten der Aufnahme ab. Ich sah das Skelett von Pat. Das Skelett von Pat.
     Jaffé zeichnete mit der Pinzette einzelne Linien und Verfärbungen auf der Platte nach und erklärte sie. Er merkte nicht, daß ich gar nicht mehr hinblickte. Die Gründlichkeit des Wissenschaftlers war über ihn gekommen. Schließlich wandte er sich mir zu. »Haben Sie es verstanden?«
     »Ja«, sagte ich.
     »Was ist denn?« fragte er.
     »Nichts«, erwiderte ich. »Ich kann das nur nicht gut sehen.«
     »Ach so.« Er rückte an seiner Brille. Dann schob er die Fotografien wieder in die Hüllen zurück und musterte mich forschend. »Machen Sie sich keine unnützen Gedanken.«
     »Das tue ich nicht. Aber es ist ein gottverdammtes Elend! Millionen Menschen sind gesund! Warum dieser eine nicht?«
     Jaffé schwieg eine Weile.
     »Darauf kann niemand eine Antwort geben«, sagte er dann.
     »Ja«, erwiderte ich, plötzlich furchtbar erbittert und ganz taub vor Wut, »darauf kann niemand eine Antwort geben! Natürlich nicht! Auf das Elend und das Sterben kann niemand eine Antwort geben! Verflucht! Nicht einmal tun kann man etwas dagegen!«
     Jaffé sah mich lange an. »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Aber ich kann mir nichts vormachen. Das ist das Verfluchte.«
     Er sah mich immer noch an. »Haben Sie etwas Zeit?« fragte er.
     »Ja«, sagte ich. »Genug.«
     Er stand auf. »Ich muß jetzt meine Abendvisite machen. Ich möchte, daß Sie mitkommen. Die Schwester wird Ihnen einen weißen Mantel geben. Für die Patienten gelten Sie dann als mein Assistent.«
     Ich wußte nicht, was er wollte; aber ich nahm den Mantel, den die Schwester mir hinhielt.
     Wir gingen die langen Korridore

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