Drei Männer im Schnee
träumte wilde Sachen.
Einer der Träume spielte auf dem Berliner Einwohnermeldeamt.
An den Türen standen, alphabetisch geordnet, alle möglichen Familiennamen. Vor dem Türschild »Schnabel bis Schütze« machte Hagedorn halt, klopfte an und trat ein.
Hinter der Barriere saß der Schneemann Kasimir. Er trug einen Schupohelm und fragte: »Sie wünschen?« Hierbei strich er sich den Schnurrbart und sah überhaupt sehr streng aus.
»Haben Sie die Schulzes unter sich?« fragte Fritz.
Kasimir sagte: »Alle Schulzen.«
»Wie kommen Sie zu diesem Plural?« fragte Fritz.
»Verfügung des Präsidiums«, meinte Kasimir barsch.
»Verzeihung«, sagte Fritz. »Ich suche ein Fräulein Hildegard Schulze. Wenn sie lacht, kriegt sie ein Grübchen. Nicht zwei, wie andere Mädchen. Und in ihren Pupillen hat sie goldene Pünktchen.«
Kasimir blätterte umständlich in etlichen Karteikästen. Dann nickte er. »Die gibt’s. Sie hat früher auf dem Funkturm gewohnt. Dann hat sie sich nach den Alpen abgemeldet.«
»Sie muß aber wieder in Berlin sein«, behauptete Fritz.
»Dem Funkturm ist davon nichts bekannt«, sagte der Schneemann.
»Sie scheint überhaupt nicht zu wohnen. Vielleicht ist sie abgegeben worden. Folgen Sie mir unauffällig!«
Sie stiegen in den Keller. Hier standen in langen Reihen viele Schränke. Kasimir schloß einen nach dem anderen auf. In jedem Schrank waren vier Fächer. Und in jedem Fach stand ein Mensch.
Das waren die Leute, die polizeilich nicht gemeldet waren, und andere, die total vergessen hatten, wo sie wohnten. Und schließlich Kinder, die nicht mehr wußten, wie sie hießen.
»Das ist ja allerhand«, meinte Hagedorn erschrocken. Die Erwachsenen standen verärgert oder auch versonnen in ihren Fächern. Die Kinder weinten. Es war ein ausgesprochen trauriger Anblick. In einem Fach stand ein alter Gelehrter, ein Historiker übrigens; der hielt sich für einen vergessenen Regenschirm und verlangte von Kasimir, man solle ihn endlich zumachen. Er hatte die Arme ausgebreitet und die Beine gespreizt. Und er sagte fortwährend: »Es regnet doch gar nicht mehr!« Fritz schlug die Tür zu.
Sie hatten schon in fast alle Schränke geguckt. Aber Hildegard hatten sie noch immer nicht gefunden. Fritz hielt plötzlich die Hand hinters Ohr. »Im letzten Schrank heult ein Fräulein!«
Der Schneemann schloß die Tür auf. In der äußersten Ecke, mit dem Rücken zum Beschauer, stand ein junges Mädchen und weinte heftig.
Hagedorn stieß einen Freudenschrei aus. Dann sagte er gerührt:
»Herr Schneepo, das ist sie.«
»Sie steht verkehrt«, knurrte Kasimir. »Ich sehe kein Grübchen.«
»Hilde!« rief Fritz. »Schau uns, bitte, an! Sonst mußt du hierbleiben.«
Hilde drehte sich um. Das kleine hübsche Gesicht war total verheult.
»Ich sehe kein Grübchen«, sagte der Schneemann. »Ich schließe wieder zu.«
»Hildchen!« rief Fritz. »Lach doch mal! Der Onkel will nicht glauben, daß du ein Grübchen hast. Tanze ihm den Sterbenden Schwan vor! Stehen Sie auf, teuerste Gräfin! Morgen versetzen wir deinen Ring und fahren für zweitausend Mark Achterbahn! Aber lache! Lache!«
Es war vergebens. Hilde erkannte ihn nicht. Sie lächelte nicht und lachte nicht. Sie stand in der Ecke und weinte. Kasimir steckte den Schlüssel ins Türschloß. Fritz fiel ihm in den Arm. Der Schneemann packte den jungen Mann am Schopf und schüttelte ihn.
»Unterlassen Sie das!« rief Hagedorn wütend. »Na, na, na«, sagte jemand. »Kommen Sie zu sich!«
Vor ihm stand der Zugschaffner. »Bitte, die Fahrkarten!« Und draußen dämmerte der Tag.
Am Morgen klingelte es bei Frau Hagedorn in der Mommsenstraße.
Die alte Dame öffnete. Draußen stand Karlchen, der Lehrling des Fleischermeisters Kuchenbuch.
»Hallo!« sagte sie. »Telefoniert mein Sohn schon wieder?«
Karlchen schüttelte den Kopf. »Einen schönen Gruß von meinem Meister, und heute wäre die Überraschung noch größer als vorgestern. Und Sie sollen, bitte, nicht erschrecken. Sie bekommen Besuch.«
»Besuch?« meinte die alte Dame. »Über Besuch erschrickt man nicht! Wer kommt denn?« Von der Treppe her rief es: »Kuckuck!
Kuckuck!« Mutter Hagedorn schlug die Hände überm Kopfe zusammen. Sie lief ins Treppenhaus und blickte um die Ecke. Eine Etage tiefer saß ihr Junge auf den Stufen und nickte ihr zu. »Da hört sich doch alles auf!« sagte sie. »Was willst du denn in Berlin, du Lausejunge? Du gehörst doch nach Bruckbeuren! Steh auf, Fritz!
Die Stufen
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