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Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Titel: Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ist in diesem winzigen Apostroph sein ganzer Charakter, ein brennendes Bild, ein Keuchen von Gier, flackernde Augen, das gerötete Gesicht, das Keuchen der bösen Lust. Diese kleinen realistischen Details bei Dostojewski, die sich wie spitze Angelhaken ins Gefühl einbohren und widerstandslos mit ins fremde Erleben reißen, sie sind sein erlesenstes Kunstmittel und gleichzeitig der höchste Triumph des intuitiven Realismus über den programmatischen Naturalismus. Aber Dostojewski verschwendet durchaus nicht diese seine Details. Er setzt ein einziges ein, wo andere hunderte applizieren, aber er spart sich diese kleinen grausamen Einzelheiten der letzten Wahrheit mit einem wollüstigen Raffinement auf, er überrascht mit ihnen gerade im Augenblick der höchsten Ekstase, wo man sie am wenigsten erwartet. Immer gießt er mitunerbittlicher Hand den Galletropfen Irdischkeit in den Kelch der Ekstase, denn für ihn heißt wirklich und wahrhaft sein: antiromantisch und antisentimental wirken. Er will, daß wir zwiespältig genießen, wie er selbst zwiespältig empfindet, er will auch hier keine Harmonie, keinen Ausgleich. Immer in allen seinen Werken sind diese schneidenden Zerrissenheiten, wo er mit satanischem Detail die sublimsten Sekunden aufsprengt und dem Heiligsten des Lebens seine Banalität entgegengrinst. Ich erinnere nur an die Tragödie des »Idioten«, um einen solchen Augenblick des Kontrastes sichtlich zu machen. Rogoschin hat Nastassja Philipowna ermordet, nun sucht er Myschkin, den Bruder. Er findet ihn auf der Straße, er rührt ihn an mit der Hand. Sie brauchen nicht miteinander zu sprechen, furchtbare Ahnung weiß alles voraus. Sie gehen über die Straße in das Haus, wo die Ermordete liegt: irgendein ungeheures Vorempfinden von Größe und Feierlichkeit hebt sich in einem auf, alle Sphären erklingen. Die beiden Feinde eines Lebens, Brüder im Gefühl, schreiten in das Zimmer zur Ermordeten. Nastassja Philipowna liegt tot. Man spürt, diese Menschen werden sich nun das Letzte sagen, wie sie einander gegenüberstehen an der Leiche der Frau, die sie entzweite. Und dann kommt das Gespräch – und alle Himmel sind zerschlagen von der nackten, brutalen, brennend irdischen, teuflisch geistigen Sachlichkeit. Sie sprechen davon als erstes, als einziges – ob die Leiche riechen wird. Und Rogoschin erzählt mit schneidender Sachlichkeit, er habe »gute amerikanische Wachsleinwand« gekauft und »vier Fläschchen einer desinfizierenden Flüssigkeit darauf gegossen«.
    Solche Details sind es, die ich bei Dostojewski die sadistischen, die satanischen nenne, weil hier der Realismus mehr ist als ein bloßer Kunstgriff der Technik, weil er eine metaphysische Rache ist, Ausbruch geheimnisvoller Wollust, einer gewaltsamen ironischen Enttäuschung. »Vier Fläschchen«! das Mathematische der Zahl, »amerikanische Wachsleinwand«! die grauenhafte Präzision des Details – das sind absichtliche Zerstörungen der seelischen Harmonie, grausame Revolten gegen die Einheit des Gefühls. Mit absichtlicher Bewußtheit (er ist der Antiromantiker, wieer der Antisentimentale ist) stellt er seine Szenerie mitten in die Banalität hinein. Schmutzige Kellerlokale, stinkend von Bier und Schnaps, dumpfe enge »Särge« von Zimmern, nur abgetrennt durch Holzwände, nie Salons, Hotels, Paläste, Kontore. Und mit Absicht sind seine Menschen äußerlich »uninteressant«, schwindsüchtige Frauen, verlumpte Studenten, Nichtstuer, Verschwender, Tagediebe, niemals aber soziale Persönlichkeiten. Aber gerade in diese dumpfe Alltäglichkeit stellt er die größten Tragödien der Zeit. Aus dem Erbärmlichen steigt das Erhabene phantastisch auf. Nichts wirkt dämonischer bei ihm als dieser Kontrast äußerer Nüchternheit und seelischer Trunkenheit, räumlicher Armut und Verschwendung des Herzens. In Schnapszimmern verkünden trunkene Menschen die Wiederkehr des Dritten Reiches, sein Heiliger Aljoscha erzählt die tiefste Legende, während ihm eine Dirne auf dem Schöße sitzt, in Bordellen und Spielhäusern entfalten sich die Apostolate der Güte und Verkündung, und die erhabenste Szene Raskolnikows, wo der Mörder sich niederwirft und vor dem Leiden der ganzen Menschheit sich beugt, sie spielt im Zimmerwinkel einer Dirne bei dem stotternden Schneider Kapernaumow.
    Ein ununterbrochener Wechselstrom, kalt oder warm, warm oder kalt, aber nie lau, ganz im Sinne der Apokalypse, so durchblutet seine Leidenschaft das Leben, von Unruhe zu Unruhe wirft

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