Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski
statt der Laster, ein kleines schmutziges Tierchen, ein Insekt der Sinne, und jener, der namenlose Student der »Werdenden« wiederum, ist Perversion geistiger Bosheit ins Sexuelle. Man sieht, Welten des Gefühls stehen zwischen diesen Menschen, die sonst ein einziger Begriff zusammenfaßt, und so wie hier die Wollust differenziert ist und aufgelöst in ihre geheimnisvollen Verwurzlungen und Komponenten,so ist bei Dostojewski jedes Gefühl, jeder Trieb immer zurückgeführt in die letzte Tiefe, in den Ursprung aller Kraftströmung, in jenen letzten Gegensatz zwischen Ich und Welt, Behauptung und Hingabe, Stolz und Demut, Verschwendung und Sparsamkeit, Vereinzelung und Gemeinschaft, zentripetale und zentrifugale Kraft, Selbststeigerung oder Selbstvernichtung, Ich oder Gott. Man mag die Gegensatzpaare nennen, wie es der Augenblick fordert, immer sind es letzte, sind es Urgefühle jener Welt zwischen Geist und Fleisch. Nie haben wir vor ihm von dieser wimmelnden Vielfalt des Gefühls, von unserer seelischen Gemengtheit so viel gewußt.
Am überraschendsten aber wird diese Auflösung des Gefühls bei Dostojewski in der Liebe. Es ist die Tat seiner Taten, daß er den Roman, ja die ganze Literatur, die seit Hunderten von Jahren, seit der Antike, immer nur in diesem Zentralgefühl zwischen Mann und Weib, als in den Urquell alles Seins, gemündet hatte, noch tiefer hinab, noch höher hinauf, in letzte Erkenntnisse geführt hat. Liebe, anderen Dichtern der Endzweck des Lebens, das Erzählungsziel des Kunstwerkes, ihm ist sie nicht Urelement, sondern nur Stufe des Lebens. Für die anderen dröhnt die glorreiche Sekunde der Versöhnung, der Ausgleich aller Widerstreite im Augenblicke, da Seele und Sinne, Geschlecht und Geschlecht sich restlos in himmlische Gefühle lösen. Im letzten Grunde ist bei ihnen, den anderen Dichtern, der Lebenskonflikt lächerlich primitiv im Vergleich zu Dostojewski. Liebe rührt den Menschen an, ein Zauberstab aus göttlicher Wolke, Geheimnis, die große Magie, unerklärlich, unerläuterbar, letztes Mysterium des Lebens. Und der Liebende liebt: er ist glücklich, erlangt er die Begehrte, er ist unglücklich, erlangt er sie nicht. Wiedergeliebt sein ist der Himmel der Menschheit bei allen Dichtern. Aber Dostojewskis Himmel sind höher. Umarmung ist bei ihm noch nicht Vereinigung, Harmonie noch nicht die Einheit. Für ihn ist Liebe nicht ein Glückszustand, ein Ausgleich, sondern erhobener Streit, intensiveres Schmerzen der ewigen Wunde und darum ein Leidensdokument, ein stärkeres Am-Leben-Leiden als in den gemeinen Augenblicken. Wenn Dostojewskis Menschen einander lieben, so ruhensie nicht. Im Gegenteil, nie sind seine Menschen mehr durchschüttelt von allem Widerstreit ihres Wesens als im Augenblick, da Liebe sich von Liebe erwidert fühlt, denn sie lassen sich nicht versinken in ihrem Überschwang, sondern suchen ihn zu übersteigern. Sie machen, echte Kinder seiner Entzweiung, nicht halt in dieser letzten Sekunde. Sie verachten die sanfte Gleichung des Augenblicks (den alle anderen als den schönsten ersehnen), daß Geliebter und Geliebte sich gleich stark lieben und geliebt werden, weil dies Harmonie wäre, ein Ende, eine Grenze, und sie leben nur für das Grenzenlose. Dostojewskis Menschen wollen nicht ebenso lieben wie sie geliebt werden: sie wollen immer nur lieben und wollen das Opfer sein, derjenige, der mehr gibt, derjenige, der weniger empfängt, und sie steigern einander in wahnsinnigen Lizitationen des Gefühls, bis es gleichsam ein Keuchen, ein Stöhnen, ein Kampf, eine Qual wird, was als sanftes Spiel begann. In rasender Verwandlung sind sie dann glücklich, wenn sie zurückgestoßen, wenn sie verhöhnt, wenn sie verachtet werden, denn dann sind sie es ja, die geben, unendlich geben und nichts dafür verlangen, und darum ist bei ihm, dem Meister der Gegensätze, der Haß immer so ähnlich der Liebe und die Liebe immer so ähnlich dem Haß. Aber auch in den kurzen Intervallen, da sie einander gleichsam konzentriert lieben, ist die Einheit des Gefühls noch einmal gesprengt, denn nie können Dostojewskis Menschen gleichzeitig mit den geschlossenen Kräften ihrer Sinne und Seele einander lieben. Sie lieben mit der einen oder mit der anderen, nie ist Fleisch und Geist bei ihnen in Harmonie. Man sehe nur auf seine Frauen: alle sind sie Kundrys, gleichzeitig in zwei Welten des Gefühls lebend, mit ihrer Seele dem heiligen Gral dienend und gleichzeitig wollüstig ihren Leib verbrennend in
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