Drei Wünsche
Madam Zoller erinnern. Sie hatte sich das große, aber leichtere ihrer Gepäckstücke auf den Rücken gebunden, Daunenbett und Kissen zusammengerollt in einem Umschlagtuch aus weicher Wolle. Das war groß genug, auch als Decke zu dienen. Dann hatte sie mit der Rechten das in einem verknoteten Leintuch verstaute Bündel gegriffen, mit der Linken die alte Reisetasche, die Friedrich gehört hatte, und begonnen, behutsam die Stufen hinunterzusteigen.
Madam Zoller hatte nie darauf bestanden, dass ihre Gesellschafterin und Mamsell die so schmale wie düstere Stiege vom Hintereingang benutzte. Die Treppe im Vorderhaus war breit und licht. Wie etliche der schönen vier oder fünf Etagen hohen Bürgerhäuser hier in der Großen Reichenstraße war auch dieses erst gut drei Jahrzehnte alt. Da gab es kein krummes Fachwerk mehr, kein löchriges Dach, dafür helle Räume mit ebenen Fußböden, gut schließende Fenster und Türen, solide Kachelöfen. Madam Zoller hatte nur die Beletage bewohnt, aber das Haus gehörte ihr, genauer gesagt: Es hatte ihr gehört.
Theda sah die Postkutsche davonrollen und machte sich auf den Weg zur Mattentwiete. Vielleicht war das Haus der Grund, warum der junge Zoller von heute auf morgen seine Mutter bei sich in Antwerpen haben wollte, überlegte sie. Dieser Anfall von Sohnesliebe und Fürsorge! Erst war ein Brief gekommen, gleich darauf er selbst, einen Käufer für das Haus hatte er parat, so war rasch gegangen, was gewöhnlich etliche Wochen in Anspruch nahm. Das Haus war ruck, zuck verkauft, einige kostbarere Teile von Hausrat und Möbeln nach Antwerpen expediert, der größere Rest stand zur Auktion bereit. Madam Zoller hatte reisefertig dagestanden, schwankend zwischen dem Kummer des Abschieds von der Stadt, in der sie ihr ganzes Leben verbracht hatte und ihre alten Freunde zurückließ, und dem Glück, von der Familie ihres Sohnes aufgenommen zu werden, endlich den Enkeln nah zu sein. Das Haus in allerbester Lage hatte einen grandiosen Preis erzielt, Wohnraum jeder Art war knapp in der übervölkerten Stadt. Gut möglich, Zoller sehnte sich weniger nach der Nähe seiner alten Mutter als vielmehr nach deren Besitz.
Madam Zoller hatte ihre vertraute Mamsell mitnehmen wollen, aber ihr Sohn hatte verkündet, Dienstboten gebe es in seinem Haus schon jetzt mehr als genug, die Mamsell habe ihren Lohn für das nächste Quartal erhalten, sie finde leicht einen Platz in einem anderen reputierlichen Haus.
Theda hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als zu erklären, dass sie mit ihrem letzten Lohn die letzten Schulden getilgt hatte, die ihr aus Friedrichs Teehandel geblieben waren. Madam Zoller hatte mit bedauerndem Nicken Thedas Hand gestreichelt. Nun bestimmte ihr Sohn über ihr Leben wie früher ihr Ehemann, so lief die Welt. Als brave alte Dame und gute Mutter würde sie ihm als Oberhaupt der Familie kaum widersprechen. Sie liebte ihn, und er war die Sicherheit ihres Alters.
Zollers Entscheidung, noch vor Weihnachten auf die Reise zu gehen, hatte Theda (und auch ihre Dienstherrin) überraschend getroffen. Es war doch viel zu weit bis Antwerpen, wo Zoller als Hamburger Handelsagent mit seiner flämischen Frau und vier Kindern lebte, besonders im Winter und für eine alte Dame von fünfundsechzig Jahren. Es wäre nur vernünftig, bedeutend angenehmer und ungefährlicher gewesen, im Sommer mit dem Schiff zu reisen. Aber die junge Madam Zoller war wieder guter Hoffnung und wünschte sich den Beistand ihrer Schwiegermutter. Nun ging die Reise mit der Kutsche zunächst bis Bremen, wo Madams Tochter mit ihrer Familie lebte, dort wollten sie das Christfest verbringen und dann weiterreisen. Die bedauernswerte Madam. Es war fraglich, ob sie all die Aufregung und die Strapazen heil überstehen würde. Sicher nicht, und dann …
Theda blieb stehen und schüttelte den Kopf. All das ging sie nichts mehr an, sie hatte nach der Abreise der Zollers, wie es ihre Pflicht gewesen war, die große Wohnung geputzt, bis sich kein Stäubchen mehr fand, und die zu versteigernden Möbel mit Honigwachs und Kiefernöl eingerieben und poliert. Auch die zurückbleibenden Schränke in der Diele und der Schlafkammer hatten mit den reichen Schnitzereien viel Arbeit bedeutet. Der warme Glanz des dunklen Holzes hatte Theda belohnt, sie hoffte, die neuen Bewohner, die diese Stücke des wertvollen Mobiliars übernahmen, wussten deren Schönheit und Würde zu schätzen.
Es hieß, der neue Mieter sei ein Professor aus
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