Drift
über die Grenze kommen muss man noch, zunächst über die eine, dann über die andere.
Was aber tun mit dem Hasch? Was, wenn die Eltern die Abschiedsnotiz auf Anhieb verstehen und nicht etwa erst nach ein paar Tagen, was der eigentliche Plan war, was, wenn sie die Polizei rufen oder schon angerufen haben und die jetzt an der Grenze auf einen wartet? Schma-a-a-ach!!! Das Auto wird schon in der Kolonne erkannt, die auf Durchlass wartet, die Beamten stellen sich dumm, bis man vor ihnen steht und der zur Sicherung heruntergelassenen Barriere, dann fragen sie auf Ticinesisch nach dem Passaporto und man zeigt ihn und sie bitten einen ganz freundlich, ob man mal aussteigen und den Kofferraum öffnen könne.
Man tut es (was denn sonst) und sie schauen pro forma hinein, aber um den Kofferraum und seinen Inhalt geht es gar nicht (wobei ja gut sein könnte, dass der Junior völlig ausgeflippt ist und unterwegs |11| noch jemanden umgebracht und in den Kofferraum gesteckt hat – mit dem Ziel, was genau mit der Leiche anzustellen?) und sie fragen, wohin es gehen soll, und man solle doch bitte mal mitkommen, zur Personenkontrolle.
Sie führen einen in ein Büro, wo ein älterer Beamter sitzt, der auf die Vater-Karte setzt, und er sagt freundlich, man solle sich doch bitte setzen, und dann macht man das und er eröffnet einem, dass die Eltern angerufen und gesagt haben, man solle das Auto nicht über die Grenze lassen, und ihm könne man doch erzählen, worum es gehe, er sei ja auch mal jung gewesen. Und man wird dasitzen mit hängenden Schultern und Knoten im Bauch und man wird sich fragen, warum man nicht im Schnee liegen geblieben ist; aber es war einfach zu kalt.
Irgendwie hat man das Gefühl, dass die Polizei noch nicht verständigt worden ist, schließlich ist es kurz vor sieben Uhr morgens und man ist schon öfter mal mit dem Auto verschwunden und hat bei einer Freundin übernachtet und natürlich hat man ihm eine Szene gemacht, aber was soll man tun, der Junge ist unverbesserlich und doch der eigene Sohn und man liebt ihn, also wartet man, bis er auftaucht oder sich meldet.
Deshalb hat man nicht das Gefühl, dass die Eltern die Polizei angerufen haben – noch nicht. Man hat das Momentum auf seiner Seite und man fragt sich, was tun mit dem Hasch, es ist doch so verdammt viel. Man hat noch nicht einmal ein Fünftel von den zehn Gramm geraucht, und eines ist klar: Rüberschmuggeln kommt nicht in Frage; wenn man schon nicht erwartet wird (das hat man sich mittlerweile eingeredet), muss man sich’s nicht versauen, indem man versucht, Drogen, wie weich auch immer, über die Grenze zu schmuggeln. Aber zum Fenster raus? Nie im Leben, keine Chance. Also bleibt einem nur eines übrig: runterschlucken. Acht Gramm.
|12| Acht Gramm? Wie weit ist es noch zur Grenze? Wie lange wird es dauern, bis man total daneben sein wird in der Birne und einen verklebten Matschmund und Augen haben wird, die einem schier aus dem Kopf flutschen? Es gilt, präzise zu kalkulieren und genau auf die Straßenschilder zu achten, denn die ganze Stange kriegt man ja nicht auf einmal runter, so viel steht fest. Man wird sich Stück für Stück vorarbeiten müssen, Stück für Stück mit Bier runterspülen, denn außer Bier hat man nichts zu trinken dabei.
»Bier?«, fragt’s, und: »Warum hat man es nicht in der Nacht zuvor getrunken und sich in den Schnee gelegt?«, und man erinnert sich, dass dieses eine Bier nicht den Ausschlag gegeben hätte und man es sich aufsparte, um am Morgen nach der zu erwartenden Horrornacht überhaupt wieder in die Gänge zu kommen. Aber Bier? Man will es sich nicht mit Drogen versauen, dafür aber Bier trinken und blasen müssen und schließlich mit gespreizten Arschbacken vor ein paar Arschlöchern mit Pistolen stehen? Nein: Das Bier gehört nach hinten und man schmeißt es, über die Rückbank, in den offenen Kofferraum. Man wird würgen müssen, runterwürgen auf Gedeih und Verderb.
Der Plan steht, also konzentriert man sich auf die Ortsschilder und irgendwann auf die Schilder, die einem sagen, wie weit man noch von der Grenze entfernt ist und welche Spur man nehmen muss, wenn man ein Lastwagen ist oder keiner.
Man ist kein Lastwagen, also nimmt man die mittlere Spur (die ganz links ist für die Nichtlaster mit Anhängern reserviert, für Großfamilien-Wohncamions und andere Kriechtiere) und man kaut und kaut und bringt schon bald den Mund nicht mehr auf; der Speichel hat sich in Harz verwandelt, alles klebt und
Weitere Kostenlose Bücher