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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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hat er ja nur einmal gekostet und gedacht, es sei nicht mehr gut
oder so etwas, und den Rest weggeworfen. Haben Sie Morley jemals essen sehen?
Er hat regelrecht geschlungen. Hat sich noch was drauf eingebildet, wie schnell
er sein Essen wegputzen konnte.«
    »Dieser Jemand muss ihn gut gekannt
haben«, sagte ich.
    »Nicht unbedingt. Er hat ja kein
Geheimnis daraus gemacht. Genau wie mit seiner Gesundheit. Er hat dauernd von
seinen Herzbeschwerden und seinen Gewichtsproblemen geredet.«
    »Und diese Pilze? Erkennt man die auf
den ersten Blick?«
    »Nur, wenn man weiß, worauf man achten
muss. Ich lese Ihnen mal vor, was da steht. >A. verna ist reinweiß. A.
phalloides ist gelblich grün bis grünlich. Die Lamellen sind bei beiden
weiß und nicht an den Stiel angeheftet.< Blablabla. Aha. Diese Sorte Pilze
wächst anfangs in einer kugeligen Hülle, von der eine häutige Scheide um die
Knolle am Fuß des Stiels zurückbleibt. Beim Pilzesammeln muss man manchmal ein
bisschen graben, weil diese Knolle in der Erde verborgen sein kann. Die
Abbildung sieht aus wie ein Pilz, der aus einem Ei herausschießt. Außerdem ist
er schleimig. Noch mehr?«
    »Danke, ich habe schon ein ungefähres
Bild. Wenn der Mörder einen Vorrat davon in seinem Garten hatte, ist davon wohl
sowieso nichts mehr da. Was passiert jetzt?«
    »Ich habe die Pastete rauf nach Foster
City geschickt, ins Chemisch-Toxikologische Institut, zur Analyse. Kann ein
Weilchen dauern, bis wir da etwas hören, aber ich bin ziemlich sicher, dass
sich unsere Vermutung bestätigen wird. Ich habe bei der Mordkommission
angerufen, aber vielleicht wollen Sie ja selbst mit Lieutenant Dolan sprechen.
Glauben Sie mir, die eigentliche Arbeit kommt erst. Das Schwerste bei Mord
durch Vergiften ist es, rechtsgültig zu beweisen, dass ein Verbrechen
vorliegt. Man muss zeigen, dass der Tod durch ein Gift herbeigeführt wurde, das
dem Toten vom Angeklagten heimtückisch verabreicht wurde. Und zwar so, dass
>jeder vernünftige Zweifel ausgeräumt ist<. Wie wollen Sie in diesem Fall
jemandem die Tat eindeutig nachweisen? Irgendjemand backt einen Kuchen und
stellt Morley das verdammte Ding hin. Morley kommt ins Büro: >Oh, hey, ist
das für mich?< Höchstwahrscheinlich hat niemand gesehen, wie das Zeug
dorthin gekommen ist, also läuft das Ganze auf einen reinen Indizienbeweis
hinaus. Und wir haben noch nicht einmal einen Verdächtigen.«
    »Ja, ich weiß«, sagte ich.
    »Na ja, Sie müssen eben irgendwo
anfangen. Ich werde Sie anrufen, sobald wir mehr wissen. Einstweilen würde ich
an Ihrer Stelle von niemandem irgendetwas selbst Gebackenes annehmen.«
    »Ich werde mich bemühen. Danke, Burt.«
    Als ich auflegte, waren meine Hände
kalt. In den letzten paar Monaten hatte Morley in Zusammenhang mit dem Mord an
Isabelle Barney mit einer ganzen Reihe von Leuten gesprochen. Was war die
Entdeckung gewesen, die ihn das Leben gekostet hatte? Offenbar etwas sehr
Bedeutsames. Giftmörder gelten mit als die gerissensten und raffiniertesten
Mörder, schon deshalb, weil ihre Methode Kenntnisse, Geschick, Planung und List
erfordert. Man vergiftet niemanden aus einer spontanen Gefühlswallung heraus.
Giftmord ist keine impulsive, spontane Tat. Das Heimtückische und
Vorhergeplante qualifizieren ihn fast automatisch als besonders schwer wiegende
Mordtat. Morley Shine war einer Form von Brutalität zum Opfer gefallen, die so
gut wie keine äußeren Spuren hinterlassen hatte, aber sein Tod war mindestens
so qualvoll gewesen wie Erstochen- oder Erschossenwerden. Ich sah einen Moment
lang den Mörder vor einer Portion tödlicher Pilze sitzen und in einem Kochbuch
blättern, auf der Suche nach einer appetitlichen Kleinigkeit, die Morley reizen
würde. Ich sah Hände Teig ausrollen, die Füllung sachte in Butter schmoren,
liebevoll die Pastete bereiten, das fertige Werk in eine Bäckerschachtel packen
und zu Morley bringen. Vielleicht hatte der Mörder ja sogar bei ihm gesessen
und mit ihm geplaudert, während er die tödliche Delikatesse verzehrte. Selbst
wenn der Geschmack ein bisschen seltsam gewesen war, hatte Morley vielleicht
nichts gesagt. Zu ausgehungert von seiner Diät. Zu höflich, um sich zu
beschweren. Und dann die Stunden, in denen er merkte, dass es ihm nicht gut
ging. Wahrscheinlich hatte er die Übelkeit und die Bauchschmerzen gar nicht mit
der Pastete assoziiert, die er so lange vorher gegessen hatte.
    Irgendwo hatte ich Pilze gesehen. Ein
Bild flackerte vor meinem inneren Auge auf...

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