Dringernder Verdacht
Rouge auf den Wangen. Und das
nächste, was ich sehe, sind die beiden, wie sie die Köpfe zusammenstecken und
kichern und sich in die Rippen stupsen wie zwei Halbwüchsige!«
»Aber das ist doch süß. Ich mag Rosie.«
Ich hatte mich jetzt dem Huhn zugewandt und aß drauflos. Mir war gar nicht
bewusst gewesen, wie hungrig ich war, bis ich den ersten Bissen im Mund hatte.
»Ich mag sie auch. Rosie ist prima. Sie
ist großartig. Aber als Schwägerin?«
»So weit wird es nicht kommen.«
»Ach, nein? Sie sollten mal da
rübergehen und die beiden reden hören. Es dreht einem den Magen um.«
»Ach, Henry, Sie übertreiben wirklich.
William ist fünfundachtzig. Sie ist bestimmt fünfundsechzig, auch wenn sie es
niemals zugeben würde.«
»Genau das ist es ja. Sie ist zu jung
für ihn.«
Ich musste lachen. »Das ist doch nicht
Ihr Ernst.«
»Es ist mein voller Ernst, und es
wundert mich, dass Sie es so locker nehmen. Wenn sie sich nun in eine heiße
Liebesaffäre stürzen? Können Sie sich das vorstellen, die beiden in meinem
Gästezimmer?«
»Ist es das, was Sie stört? Das William
womöglich ein Sexualleben haben könnte? Sie erstaunen mich, Henry. Das sieht
Ihnen gar nicht ähnlich.«
»Ich finde das höchst vulgär«, sagte
er.
»Er hat doch noch gar nichts gemacht!
Und außerdem dachte ich, Sie wollten, dass er aufhört, dauernd um seine
Gesundheit zu kreisen. Was könnte denn Besseres passieren? Dann hat er etwas
anderes, worum er kreisen kann.«
Henry starrte mich an, und in seinen
Gesichtsausdruck mischte sich Unsicherheit. »Sie finden das nicht anstößig?
Eine Liebesaffäre in seinem Alter?«
»Ich finde das ganz wunderbar. Sie
haben doch selbst noch vor gar nicht langer Zeit eine Liebesaffäre gehabt.«
»Und was ist dabei herausgekommen?«
»Sie haben es überlebt.«
»Aber er, wird er es auch überleben?
Ich sehe schon vor mir, wie Rosie zu Weihnachten nach Michigan fliegt. Ich will
ja nicht überheblich klingen, aber diese Frau hat keinen Stil. Sie pult sich
mit einer Haarnadel in den Zähnen!«
»Ach, hören Sie doch auf, sich Sorgen
zu machen.«
Sein Mund war ein verkniffener Strich,
während er die Sache überdachte. »Es würde wahrscheinlich sowieso nichts
nützen, etwas zu sagen. Sie würden einfach so tun, als wüssten sie gar nicht,
wovon ich rede.«
Ich hielt den Mund und konzentrierte
mich auf mein Essen. »Schmeckt einfach toll«, lobte ich.
»Ist noch mehr da, falls Sie noch etwas
möchten«, sagte er. Er zeigte auf die Karteikarten. »Haben Sie noch zu tun?«
Ich nickte. »Sobald ich aufgegessen
habe.«
Er seufzte. »Tja dann, Schluss mit dem
Quatsch. Ich lasse Sie besser an Ihre Arbeit gehen.«
»Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
»Aber sicher«, sagte er.
Wir machten die üblichen
Abschieds-Lippengeräusche, und er verschwand. Ich schloss die Tür hinter ihm
und flitzte dann nach oben, wo ich die Schuhe von mir schleuderte und mich aus
meinem Allzweck-Kleid und der Strumpfhose pellte. Ich schlüpfte in meine Jeans,
den Rollkragenpullover, Socken und Nikes. Uff.
Ich ging wieder nach unten, öffnete
eine Dose Pepsi light und machte mich ans Werk. Ich breitete das ganze Material
auf der Küchenplatte aus: Morleys Akten, seinen Merkkalender, seinen Terminkalender
und die Rohentwürfe für seine Berichte. Ich erstellte eine Liste aller
Personen, mit denen er geredet hatte, nebst Datum und Inhalt des Gesprächs,
soweit aus den Notizen ersichtlich. Ich riss den ersten Packen Karteikarten auf
und begann, mir selbst Notizen zu machen und die Geschichte Stück um Stück so
zu skizzieren, wie sie sich mir darstellte. Diese Methode benutzte ich immer,
wenn ich an einem Fall arbeitete. Die Karten würde ich dann an mein Pinnbrett
heften, damit ich sehen konnte, wie sich das Ganze ausnahm. Das hatte ich von
Ben Byrd gelernt, der mir dieses Handwerk beigebracht hatte. Ich dachte, dass
Ben es wohl wiederum von Morley gelernt haben musste, der ja bis zu ihrem
Zerwürfnis sein Partner gewesen war. Ich lächelte vor mich hin. Sie hatten ihre
Agentur Byrd-Shine genannt — zwei Detektive von altem Schrot und Korn, mit
Whiskeyflaschen im Schreibtisch und einer nie erlahmenden Leidenschaft für
endlose Gin-Romme-Partien. Ihre Spezialität waren »Ermittlungen in
Eheangelegenheiten« gewesen, d. h. Seitensprünge. Damals galt Ehebruch noch als
ein schockierender Verstoß gegen Moral, gute Erziehung, Anstand und Geschmack.
Heute reichten solche Banalitäten nicht einmal mehr für
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