Dringernder Verdacht
Villa, die offenbar in Appartements umgewandelt worden war. »Da
wohne ich. Wollen Sie nicht einen Parkplatz suchen und heraufkommen? Dann kann
ich wenigstens erst noch diese Uniform und die Schuhe ausziehen. Wohnung Nummer
sechs, ganz am Ende des Flurs.«
»Ich hin gleich da.«
Sie drehte sich um, stieg rasch die
Eingangstreppe hinauf und verschwand durch den Vordereingang. Ich fand einen
Parkplatz sechs Häuser weiter, auf der gegenüberliegenden Seite. In einem
kurzen Anfall von Paranoia fragte ich mich, ob sie vielleicht in Wirklichkeit
gar nicht dort wohnte. Ich sah sie im Geist in das Haus gehen und durch den Hinterausgang
wieder verschwinden, ehe ich nachkommen konnte. Ich ging die hölzerne Treppe
hinauf und öffnete die verglaste Tür, die in einen schummrigen Eingangsflur
führte. Es war ganz still im Haus. Linkerhand befand sich eine Konsole mit
einer Lampe, die noch nicht brannte. Dort lagen Poststapel und ein paar
Exemplare der aktuellen Tageszeitung. Einige Türen rechts und links des
Korridors waren übertapeziert. Was einst vorderer Salon und Esszimmer gewesen
war, bildete jetzt eine Wohneinheit. Dahinter schloss sich eine zweite an und
ganz hinten vermutlich noch ein Studio. Drei Wohnungen, wie es schien, und wohl
noch einmal drei obendrüber. Rechterhand führte eine Treppe nach oben.
Ich ging hinauf, um die Wohnung Nummer
sechs zu suchen. Es war nicht gerade das heiterste aller Häuser, aber immerhin
sauber. Die Tapete war offenbar neu und wohl ihres viktorianischen Flairs wegen
gewählt, mit anderen Worten: saccharinsüß. Sträußchen und Flatterbänder
entführten das Auge zu einem fröhlichen Reigen. Der Effekt war deprimierend,
trotz aller rosa-grün-veilchenfarbenen Munterkeit.
Ich klopfte an die mit einer
überdimensionalen Messingsechs gekennzeichnete Tür. Gleich darauf erschien
Laura, einen Kimono in der Taille gürtend. Ich sichtete ihre weißen Schwesternschuhe
auf dem Boden neben einem Postersessel, auf den sie ihre weiße Uniform geworfen
hatte. Ich hörte Badewasser einlaufen, ein ziemlich eindeutiges Signal. Das
Appartement bestand aus zwei sehr großen Zimmern und einem voll gepfropften
Loch von Bad, wahrscheinlich die ehemalige Wäschekammer. Von der Tür aus konnte
ich den Heizstrahler und den Rand einer Uralt-Badewanne sehen. Die Räume hatten
hohe Decken, und das üppige Holzwerk war von jener Sorte, die irgendwie nach
Schellack riecht, auch wenn sie seit vielen Jahren keinen Pinsel mehr gesehen
hat. Das Ganze war sparsam möbliert, aber was sie hatte, war gediegen. Sie
beobachtete mit einer Spur von Amüsement, wie ich das Wohn-Schlafzimmer
musterte. »Gefällt es Ihnen?«
»Ich bin immer neugierig, wie andere
Singles wohnen.«
»Wie wohnen Sie denn?«
»Auch in etwa so. Ich versuche, alles
möglichst einfach zu halten«, sagte ich. »Ich habe keine Lust, nur dafür zu
arbeiten, dass ich jeden Monat einen Stapel Rechnungen bezahlen kann.«
»Ich hasse es, allein zu leben. Setzen
Sie sich doch.«
»Ach, ja?«
»Natürlich. Sie nicht? Es ist so
einsam. Und wer möchte schon so leben?« Sie machte eine ausholende
Handbewegung, die mehr meinte als nur die materielle Umgebung. Sie ging ins Bad
und drehte das Wasser ab. Erst jetzt roch ich den dampfigen Kräuterduft eines
revitalisierenden Badeöls.
»Sieht doch toll aus. Außerdem sorgt
doch niemand für einen, wenn man’s nicht selbst tut«, sagte ich.
Sie kam wieder ins Zimmer zurück. »Na,
ich hoffe doch, das stimmt nicht. Ich muss sagen, ich habe die Hoffnung noch
nicht aufgegeben.«
»Zweisamkeit ist eine Illusion. Wir
sind alle auf uns selbst gestellt.«
»Ach, verschonen Sie mich damit. Ich
hasse diese Sprüche«, sagte sie. »Wollen Sie mir jetzt sagen, weshalb Sie hier
sind?«
»Klar. Es geht um Morley Shine. Sie
waren doch letzten Samstag verabredet?«
»Das stimmt. Aber er ist nicht
gekommen.«
»Seine Frau sagt, er sei aber an dem
Tag in sein Büro gefahren.«
»Ich war um neun dort. Ich habe eine
halbe Stunde gewartet und bin dann wieder gegangen«, sagte sie.
»Wo haben Sie gewartet? In seinem
Büro?«
»Draußen in der Einfahrt. Warum? Wieso
ist das wichtig?«
»Wahrscheinlich gar nicht. Es ist nur
wegen einer Lieferung«, sagte ich.
»Diese Schachtel von der Bäckerei?«
»Sie waren da, als sie kam?«
»Sicher. Ich saß draußen in meinem
Wagen. Das Bäckereiauto hat gleich neben mir gehalten. Ein Mann ist
ausgestiegen, mit diesem weißen Karton. Als er an mir vorbeikam, hat er
Weitere Kostenlose Bücher