Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
wunderbar in deinem Zorn!«
Pflichtgemäß packe ich trotzdem noch ein paar Wattebäusch chen aus, der Moderator ist ja zum Moderieren da, also zum Beruhigen, und tue so, als wollte ich den rasenden Rudi bremsen: »Ich kann jetzt nicht verstehen, warum die Schärfe reinkommt.« Gott sei Dank bleiben meine »Bemühungen« erfolglos. Der Knopf in meinem Ohr ist längst verstummt, aus der Regie höre ich bloß noch schockiertes Schweigen. Mittlerweile habe ich mir eine Taktik zurechtgelegt: Ich muss ihn möglichst lange bei schlechter Laune halten, auf mittlerer Flamme, versteht sich, das hebt die Quote – mal schauen, was noch alles passiert. Rudi steht derweil weiter voll am Gas wie Schumi in der Parabolica von Monza: »Die Schärfe bringt ihr doch rein! Müssen wir uns denn alles gefallen lassen?«
Mittlerweile sagt er Du zu mir, ich bleibe standhaft beim Sie, völlig absurd. Realsatire.
Und dann das Weißbier! Der Vulkan und seine finale Eruption: »Du sitzt hier locker bequem hier auf deinem Stuhl, hast drei Weizenbier getrunken und bist schön locker.« Bingo! In solchen Dingen bin ich Schnelldenker, Blitzgneißer, wie Toni Polster, der alte Schla-Wiener, sagen würde. Mit minimaler Verzögerung sehe ich schon die globale Weißbierindustrie mit einem zünftigen Werbevertrag vor meinen Augen wedeln. Aber erst muss ich fertig moderieren, also trotz Kabarettanklängen weiter beruhigen. Herr Hartmanns Friedensangebot an Herrn Völler: »In Island gibt es kein Weizenbier. Zum einen muss ich ganz ehrlich sagen, ich habe auch keine drei Weißbier getrunken. Ich mache hier dieses Interview, und wir können danach die Al koholprobe bei der Dopingprobe machen mit Nullkommanull.«
Langsam, gaaaaanz langsam beruhigt sich Rudi. Auch dem Ätna geht irgendwann die Lava aus. Er entschuldigt sich noch vor der Kamera bei mir: »Die Geschichte mit dem Weizenbier habe ich nicht so gemeint, alles andere habe ich so gemeint.« Und als Rudi aufsteht, flüstert er mir gleich noch eine zweite Entschuldigung ins Ohr: »Das mit dem Weizenbier war Scheiße. Aber sonst steh ich dazu.« Nichts zu entschuldigen, Herr Völler. Im Gegenteil: Wäre schade gewesen, wenn Sie das mit dem Weizenbier nicht erwähnt hätten. Es heißt übrigens Weißbier und nicht Weizenbier, aber das nur nebenbei. Ist ja auch verzeihlich bei Leuten jenseits des Weiß wurst-Weißbier-Äquators.
Dann verschwindet er nach draußen, wo sich eine Meute von sehr blassen ARD -Leuten versammelt hat, die alle die Verbaleruption mitgekriegt haben. Als ich rauskomme, schüt teln die Kollegen nur den Kopf. Bernd Schmelzer vom BR redet von einem »Jahrhundertereignis«. Ich wusste nur: Ich hatte meinen Job gut erledigt. Ich hatte eine Super- GAU -Situation nicht eskalieren lassen – aber trotzdem das Maximale aus dem rasenden Rudolf herausgeholt.
Am Montag rief mich Dr. Günter Struve an, der große ARD -Häuptling, damals Programmdirektor, der mich in dreißig Jahren genau zweimal angerufen hatte – einmal 2004 , als er mich zwischenzeitlich gefeuert hat, und eben nach Rudis Käse-und-Scheißdreck-Rede. Der Doktor war very amused: »Wissen Sie, was mir besonders gut gefallen hat: Dass Sie die Geschichte fast elf Minuten lang am Köcheln gehalten haben.« Der hat sich am Sonntag natürlich seine Quoten vom Vorabend angeschaut, der alte Schlaufuchs.
Am Montag war die Rudi-Rede in allen Zeitungen, von links bis rechts, von taz bis FAZ , im Wortlaut abgedruckt – das hat es sonst nur in der Prawda und im Neuen Deutschland gegeben, wenn Breschnew und Honecker ihre Genossen mal wieder mit vielstündigen Parteitagsreden gequält hatten. Die Bild erschien am Montag mit der Riesenschlagzeile vom Weißbier-Waldi. Und zum ersten Mal bin ich von den Edelfedern dieser Republik überhaupt als Kollege wahrgenommen worden. Normalerweise waren sich Blätter wie die FAZ zu fein, um über den volkstümlichen Loden-Hartmann zu schreiben – doch diesmal stand dort: »Waldemar Hartmann – absolut lebens- und livetauglich.« Vielen Dank nach Frankfurt, das gefällt mir, das möchte ich in fünfundreißig, vierzig Jahren gern auf meinem Grabstein lesen.
Den FAZ -Ausschnitt habe ich mir übrigens aufgehoben. Aber weniger aus Eitelkeit (okay, schon auch) als vielmehr, weil er gut beschreibt, wie ich meinen Job zeitlebens erledigen wollte: »Wademar Hartmann: Duzer. Kennt im deutschen Fußball alle und jeden und weigert sich, diese Erkenntnis durch förmliche Anrede zu vernebeln. Hinter dem
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