Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
»Waldemar, hol a Maß!« Meine Eltern nannten mich übrigens nie Waldi, zu Hause war ich Waldemar. Bloß in der Schule hieß ich von Anfang an Waldi. Also bin ich rüber ins Wirtshaus Metropol zum Bierholen – und wenn ich zurück war, fuhr der Vater auch schon wieder auf seiner nächsten Runde vorbei und hat sich mit einem Schoppen Bier für den restlichen Arbeitstag gestärkt. Heute wäre das alles unvorstellbar.
1954 , als Bub mit sechs Jahren, habe ich, wie wir alle damals, zum ersten Mal etwas mit Fußball am Hut gehabt. Wir hatten natürlich keinen Fernseher, aber immerhin ein Radio. Der Vater war nicht fußballnarrisch, doch Pater Dominik hat uns alle mit seiner Gläubigkeit angesteckt. Vor allem mit dem Glauben an den Ball.
Damals, bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz, habe ich zum ersten Mal mitbekommen, wie alle Leute, wirklich alle, fußballverrückt waren – ohne jede Ausnahme. Keiner war mehr normal, es gab kein anderes Thema mehr. Alle haben nur noch über Fußball geredet. Wobei: Für mich mit meinen sechs Jahren bestand die WM nur aus einem Spiel, klar, aus dem Endspiel. Was davor war, ob 3 : 8 gegen Ungarn oder irgendein anderes Spiel, fand nicht statt. In meiner Erinnerung hat diese Weltmeisterschaft begonnen und geendet mit dem Endspiel.
Aber dieses Finale war unfassbar! Ich glaube, jede Sportrepor terkarriere in meiner Generation hat an diesem 4 . Juli 1954 begonnen. Mit dem Wunder von Bern hat für mich die Welt angefangen, sich um den Ball zu drehen.
Später, noch in meiner Volksschulzeit, sind wir dann umgezogen in die Hufelandstraße, Richtung Thon. Die herrliche Straßenbahnhaltestellenzeit war damit vorbei, aber zum Trost gab es die Thoner Wiese. Oder, auf gut nürnbergerisch, das »Thoner Wiesla«. Und dort, auf einem Bolzplatz mit Toren, ist natürlich Fußball gespielt worden. Mit alten, geschnürten Leder-Skistiefeln an den Füßen.
Wir hatten nichts anderes. Damals waren ja schon meine drei Schwestern da, die beiden Zwillinge, vier Jahre jünger, und meine kleine Schwester Margit, unsere Nachzüglerin, acht Jahre jünger. Und so blieben Fußballschuhe ein unerfüllbarer Traum. Wie gesagt, mein Vater war Straßenbahnfahrer und später Schulhausmeister. Meine Mutter Margaretha saß im Konsum-Einkaufsladen an der Kasse und hat dort auch geputzt, soweit ihr bei drei Kindern die Zeit dazu blieb. Weibliche Selbstverwirklichung? War damals noch nicht wirklich ein Thema. Die Geschirrspülmaschine war auch noch gar nicht er funden, zumindest in unserer Welt nicht. Ich habe abgespült, meine Schwestern haben abgetrocknet. Es war ein Gemeinschaftsleben mit sehr viel Solidarität, und ich kann nicht behaupten, dass wir unglücklich waren. Aber das Wirtschafts wunder hat sich etwas Zeit gelassen, auch bei uns vorbeizuschauen.
Die normalen Schuhe durfte ich beim Kicken nicht anzie hen, die wären auseinandergeflogen. Und dann hätte es Watschn gegegen – so überschaubar waren damals die Regeln. Also kickte ich in den Skistiefeln – und war gefürchtet! Wenn du mit den schweren Lederstiefeln jemanden getroffen hast, es gab ja noch keine Schienbeinschützer, das hat wehgetan! Der kleine Waldi hat mächtig abgeräumt.
Begehrt warst du, wenn du einen Fußball mitbrachtest. Den hatte ich genauso wenig wie richtige Fußballschuhe. Aber immerhin, ich durfte mitspielen! War die Schule aus, lief das so: Heim! Ranzen in die Ecke! Wiesla gehen! Kein Chat, kein Internet, kein Facebook wie heute. Ich bin froh, dass ich damals aufgewachsen bin.
Und das auch noch in der Hauptstadt des deutschen Fuß balls – so habe ich das damals zumindest empfunden. Der 1 . FC Nürnberg, der Club, war göttlich damals, mehr noch als heute der FC Bayern. Und der Obergott war Max Morlock. Keine Justin-Bieber-Verehrung kann mit dem seinerzeitigen Kult um Maxl Morlock mithalten. Und sein Olymp lag im östlichen Nürnberger Stadtteil Zerzabelshof, den jeder Nürnberger bis heute nur Zabo nennt und in dem das alte Clubstadion stand.
Am Wiesla bin ich von einem Jugendtrainer angesprochen worden, ob ich nicht im Verein mitspielen will. Ob ich wollte? Und wie ich wollte! Also bin ich 1958 , mit zehn, beim Turnerbund Johannis 1888 Nürnberg eingetreten, im Stadtteil mit dem schönen Namen Schnepfenreuth. Heute spielt Johannis in der Kreisliga Nürnberg/Frankenhöhe. Man sieht, der Sportkamerad Hartmann hat den Verein nicht entscheidend vorangebracht.
Aber man trägt es mir nicht nach. Bei den Olympischen Winterspielen
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