Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Volker Herres – allerdings waren sie nicht wegen mir da, sondern wegen Gesprächen mit Vertragspartner Sauerland. Herres hatte mir schon vor der Europameisterschaft im Juni mitteilen lassen, dass er für ein von mir erbetenes Gespräch keinen Grund sieht. Keine Kommunikation im Kommunikationsgewerbe – geht’s noch?
Ich dachte mir: Wenn sie etwas machen, dann am Anfang des Boxabends. Und nicht unbedingt rund ums Hauptevent mit Arthur Abraham, mit einem Millionenpublikum vor den Geräten. So brav war ich jetzt auch nicht gewesen in der ganzen langen Zeit. Wer weiß, vielleicht senden sie ein paar Szenen vom segensreichen Wirken des Waldemar, zusammen geschnitten auf anderthalb Minuten. Einen handelsüblich lau nigen Nachruf halt.
Zunächst passierte gar nichts. Alles wie immer. 7000 Leute in der ausverkauften Halle, ich stehe nach dem Abraham-Kampf zum letzten Mal da oben auf der Presenter-Position. Arthur hatte seinen französischen Gegner wunderbar verkloppt – und greift plötzlich zum Mikro: »Ich würde gerne etwas sagen.« Ich war völlig baff, denn Arthur hatte einen Boxkampf mit technischem K. o. hinter sich. Da hast du normalerweise andere Gedanken im Kopf, als den kleinen Dicken zu verabschieden. Und die Zuschauer waren gekommen, um Arthur zu bejubeln und nicht mich. Man weiß ja nie, ob die auch mitspielen. Vielleicht fangen die an zu pfeifen, wenn sich die ARD selber feiert.
Haben sie aber nicht. Die Leute haben Arthur gefeiert, die Leute haben mich gefeiert.
Arthur fand wunderbare Abschiedsworte, Henry legte ein Solo hin, wie man es sich liebevoller nicht vorstellen kann – und überreichte mir meinen eigenen Waldi-Hartmann- WM -Gürtel. So ein WM -Gürtel ist natürlich Superkitsch und von ausgesuchter Scheußlichkeit – aber er ist nun mal das große Ziel eines jeden Boxers, ein Heiligtum in dieser Branche. Dieser Gürtel – das ist Boxen pur! Darum kämpfen die Jungs, um so einen Gürtel zu kriegen! Da lief es mir heiß und kalt den Rücken runter. Ich bin nicht nah am Wasser gebaut, aber man kann mich schon packen, emotional. Dann kam auch noch Ulli Wegner. Ulli, Mensch, mein alter Ulli! Ich stand auf meinem Moderatorenplatz, und mir ist das Wasser nur so runtergelaufen. Von wegen Hartmann. Weichere Knie hatte ich noch nie. Ich habe geweint, und meine Frau saß zu Hause vor dem Fernseher und hat mit mir geweint. Petra wollte nicht mit nach Nürnberg, sie hat gesagt: »Waggala, das ist deine letzte Runde, was habe ich da verloren?« Vielleicht hat sie auch geweint, weil ich jetzt öfter daheim bin. Aber wenn ich meinen Terminkalender anschaue: Sie muss sich keine übertriebenen Sorgen machen.
Nach der Übertragung standen dann noch sechzig, siebzig junge Leute aus dem Publikum an meiner Presenter-Position und haben für mich gesungen: »Es gibt nur ein Waldi Hartmann«. Ausgerechnet das Rudi-Völler-Lied! Wolf-Dieter Jacobi sagte später zu mir: »Die ARD sucht junge Zuschauer, und du hast sie.« Überragend! Ein Wahnsinn! Den Jungs und Mädels habe ich dann meine letzten ARD -Autogrammkarten gegeben, die ich jetzt ja nicht mehr brauche. Und die ich auch gar nicht mehr verwenden darf. Ich glaube, das wäre Amtsanmaßung.
Danach bin ich, einigermaßen wiederhergestellt, runter in den Cateringbereich, wo nach dem Kampf immer die Nachbesprechung stattfindet. Alle waren schon da, bereit zum Empfang, Applaus für den kleinen Dicken. Jacobi hat eine Rede gehalten, Balkausky verdrückte sich in eine Ecke – ich hatte zuvor schon klargemacht, dass ich von ihm keine Rede hören will. Der Koordinator sollte mir kein Wasser in den Wein gießen. Die Rede von MDR -Fernsehdirektor Jacobi hin gegen war grandios. Motto: »Mit dir kann man einen Krieg gewinnen. Du stehst da, wenn man dich braucht.« Und sein Fazit meines Wirkens in den letzten zwölf Jahren: »Was Delling und Netzer für den Fußball waren, waren Waldi und Henry fürs Boxen.« Beim Bedanken hatte ich schon wieder den berühmten Knödel im Hals. Und als dann auch noch diese herrlich anzuschauenden und herrlich anzuhörenden Streicherinnen kamen und für mich die Nationalhymne spielten, war’s endgültig geschehen um mich. Scheiße, war das schön!
Nachdem mir die ARD in den letzten Jahren keine Geschenke mehr gemacht hatte, kam nun alles auf einmal: ein überdimensionaler Boxhandschuh mit Unterschriften des gesamten Teams. Von Henry ein großes gerahmtes Foto von uns beiden mitsamt zwei Flaschen Dom Perignon. Von Wilfried Sauerland lag
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