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Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Titel: Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Hartmann
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bayerischen Plauderer verbirgt sich, bei aller gespielten oder gelebten Kumpanei, jedoch ein aufmerksamer und professioneller Jour nalist. Als Interviewer des Teamchefs oder seiner Vorgänger unmittelbar nach dem Spiel zeigt er in emotionalen Ausnahmesituationen feines Gespür für die passenden Fragen. Sein herausragendes Gespräch mit Völler in Island war ein Balanceakt auf dem Hochseil, den er mit Nervenstärke zu einem Fernsehereignis machte. Absolut lebens- und livetauglich.«
    Es war ohnehin recht interessant, was nach der Käse-und-Scheißdreck-Rede alles passierte. Günter Netzer war sauer, als hätte ihn Hennes Weisweiler im Pokalfinale noch einmal auf der Bank schmoren lassen: »Das muss ich mir nicht bieten lassen, auch nicht von Rudi Völler!« Delling wirkte regelrecht erschüttert – obwohl ihm Rudis Wetten, dass …? -Karrierevorschlag bestimmt nicht schlecht gefallen hätte, sozusagen als früher Lanz. Und die versammelte Medienbranche war überzeugt: Das überlebt der Teamchef nicht. Das kann sich nicht einmal der »Es-gibt-nur-ein-Rudi-Völler«-Völler leisten. Das kostet ihn den Kopf. So kann sich kein Bundestrainer benehmen. Der Stern hatte schon am Sonntagabend Redaktionsschluss, also stand da noch am darauffolgenden Donnerstag drin: »Das überlebt Rudi nicht!« Es herrschte Kopf-ab-Stimmung. Journalisten sind selten solidarisch – aber wenn sich jemand auf den halben Berufsstand stürzt, dann rücken sie zusammen, egal ob taz oder Bild . Wie die Cow boys im Spaghetti-Western, die bei einem Indianerangriff eine Wagenburg bilden.
    Was für ein Unfug! War doch gleich klar: Beim nächsten Länderspiel gegen Schottland, gleich am Mittwoch darauf in Dortmund, singen 60000 lauter denn je »Es gibt nur ein Rudi Völler«. Und genauso kam es. Diesmal waren die Politiker schlauer als die Journalisten. Die Presse wollte Völler killen, das Volk wollte ihn umarmen, und die Politik ist sofort draufgesprungen. Kanzler Schröder ließ wissen, dass er Weizenbier-Rudi super fand, SPD -Struck sang in einer Talkshow die Hymne auf Völler. Und Ministerpräsident Stoiber sprang eilig mit auf den Völler-Transrapid auf, ließ sich beim Rudi-Loben nicht lumpen. Einhelliger Tenor in Fußball-Deutschland: Gott sei Dank hat’s mal einer der ganzen Journaille gezeigt! So viel zur Beliebtheit unseres Berufsstandes.
    Und mein Weißbiervertrag? Zunächst musste ich meine neue fixe Idee, ganz klar, für mich behalten. Nur zwei Spezln bot ich gleich nach dem Interview eine Wette an: »Wenn ich am Freitag keinen Weißbiervertrag habe, bin ich ein Schwammerl.«
    Doch erst einmal ging ich hausieren. Absolvierte einen Interviewmarathon von Berchtesgaden bis Flensburg, von Kerner (dem damaligen Lanz) bis Pilawa. Rudi, ich und das Weizenbier. Da bin ich »Proffi«, wie Ottmar Hitzfeld sagen würde. Die Suppe musst du essen, wenn sie auf dem Tisch steht. Und auf einem DFB -Empfang haben mich die Leute angeschaut, als würden Boris Becker und Heidi Klum gemeinsam nackt aus der Besenkammer krabbeln. Sogar Schotten-Trainer Berti Vogts riss auf seiner Pressekonferenz einen Weizenbierwitz. Okay, ich war nicht Papst. Aber ich war Weiß bier. Herr Völler hingegen hat’s sportlich-locker genommen. Beim Training am Sonntag in Dortmund habe ich Rudi zum ersten Mal nach dem Interview wiedergesehen, wir mussten beide lachen. Ganz verstohlen haben wir uns abgeklatscht, damit es bloß keiner sieht: Nichts für ungut, Spezi!
    Am Montag kamen die ersten beiden Anrufe von Agenturen. O-Ton in etwa: »Grüß Gott, Herr Hartmann, wir vertreten Memminger Weißbier, könnten Sie sich vorstellen …?« Natürlich konnte ich mir vorstellen. Aber nicht mit Memmin ger Weißbier. Ich wusste noch nicht mal, dass sie in Memmingen überhaupt Weißbier brauen. Und in der Bayernliga spielen wollte ich ohnehin nicht. Ich wollte in die Weißbier-Champions-League.
    Währenddessen ging der Rudi-Waldi-Weißbier-Wahnsinn weiter. Bei Intertops konnte jeder, der nicht wusste, wohin mit seinem Spielgeld, wetten, was im ARD -Studio beim nächs ten Bundestrainerinterview nach dem Schottland-Spiel passieren könnte. Völler klatscht Delling eine, Waldi und Rudi trinken zusammen drei Weizenbier und weiterer Unfug, zum Kurs von 1 : 10 . In Wahrheit führten wir am Mittwoch ein völ lig normales, professionelles Interview, ohne Käse und Scheiß dreck, ohne jede Anspielung. Aber das Interview hatte über zehn Millionen Zuschauer und 65 Prozent Marktanteil, mehr als das

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