Driver
Willen musste Driver lachen.
Während sie sich einer zweiten Flasche Cabernet-Merlot und der nächsten Runde ihrer ausgedehnten Mahlzeit widmeten, inmitten all der anderen Gäste, waren sie für einen Moment wie auf einer Insel, auf der sie so tun konnten, als gehörten sie dazu.
»Glaubst du, wir suchen uns unser Leben aus?« fragte Bernie Rose, als sie zu Kaffee und Cognac übergingen.
»Nein. Aber ich glaube auch nicht, dass es uns aufgedrängt wird. Mir kommt’s eher so vor, als würde es ständig von unten nachsickern.«
Bernie Rose nickte. »Als ich das erste Mal von dir hörte, da hieß es, du würdest fahren, mehr nicht.«
»Zu dem Zeitpunkt auch absolut richtig. Aber die Zeiten ändern sich.«
»Auch wenn wir uns nicht ändern.«
Valerie brachte die Rechnung. Bernie Rose bestand darauf, sie zu übernehmen. Sie gingen hinaus auf den Parkplatz. Sterne funkelten am Himmel. Der Teppichladen machte zu, Familien zwängten sich in verbeulte Trucks, altersschwache Chevys, billige Hondas.
»Wo ist deine Karre?«
»Da drüben«, sagte Driver. Am hinteren Rand des Parkplatzes, halb verborgen von einem abgezäunten Bereich für Abfälle. Natürlich. »Du glaubst also nicht, dass wir uns ändern?«
»Ändern? Nein. Wir passen uns an. Schlagen uns durch. Wenn du zehn, zwölf Jahre alt bist, dann steht schon ziemlich fest, wie du mal sein wirst, wie dein Leben mal sein wird. Ist das dein Auto?«
Ein neunziger Datsun, stark verbeult und etliche Teile fehlten. Stoßstangen und Türgriffe zum Beispiel.
»Ich weiß, sieht nicht besonders aus. Aber wir ja auch nicht. Ein Freund von mir ist darauf spezialisiert, diese Kisten aufzuarbeiten. Sind eigentlich gute Autos. Wenn er mit ihnen fertig ist, sind sie wieder echte Knaller.«
»Auch ein Fahrer?«
»Früher mal, bis er sich bei einem Unfall beide Hüften zerschmettert hat. Damals hat er angefangen, sie auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen.«
Der Parkplatz war jetzt leer.
Bernie Rose streckte eine Hand aus. »Schätze, wir werden uns nicht Wiedersehen. Pass auf dich auf, Junge.«
Als er auch die Hand ausstreckte, sah Driver das Messer – genau genommen die im Mondschein aufblitzende Klinge. Bernie Rose wollte mit der Linken flach von unten zustechen.
Driver rammte sein Knie hart gegen Bernie Roses Arm, erwischte sein Handgelenk, als es nach oben schoss, und versenkte das Messer in seinem Hals. Er hatte zu weit in der Mitte getroffen, nicht in die Halsschlagader oder in andere wichtige Gefäße, daher dauerte es eine Weile, aber die Klinge hatte den Rachen durchbohrt und die Luftröhre verletzt, durch die jetzt Bernie Roses letzte Atemzüge pfiffen. Allzu lange dauerte es nicht.
Als er in Bernie Roses brechende Augen sah, dachte er: Das ist es, was Leute meinen, wenn sie von der Gunst der Stunde sprechen.
Er fuhr den Rest des Weges zum Pier hinunter, trug Bernies Leiche an den Rand des Wassers und ließ sie los. Aus dem Wasser kommen wir. Ins Wasser kehren wir zurück. Es war Ebbe. Sie hob den Leichnam an, trug ihn ganz behutsam fort. Die Lichter der Stadt bedeckten das Wasser.
Nachher saß Driver einfach da, spürte das sanfte Schnurren des Datsun.
Er fuhr. Das war es, was er tat. Was er immer tun würde.
Er ließ die Kupplung kommen und bog vom Parkplatz am Strand auf die Straße ein, zurück in die Welt, hier an ihrem äußersten Rand. Der gelbe Mond stand am Himmel, Hunderte und Aberhunderte von Meilen lagen noch vor ihm.
Driver war noch weit vom Ende entfernt. Es dauerte Jahre, bevor er um drei Uhr an einem klaren, kalten Morgen in einer Bar in Tijuana zu Boden ging. Jahre, bevor Manny Gilden sein Leben verfilmte. Bis dahin würde es noch weitere Morde geben, andere Leichen.
Bernie Rose war der Einzige, um den er jemals trauerte.
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