Drunter und Drüber
abgesehen von einem Paar in einem Ruderboot, das langsam Richtung Steg kam, war niemand mehr zu sehen. Er müsste sich endlich eine Badehose kaufen und einmal schwimmen gehen.
Vielleicht würde er auch einfach warten, bis es dunkel war, und ohne Kleider baden. Das hatte er nicht mehr getan, seit er als Teenager mit Butch und ein paar Mädchen an einem freien Nachmittag zum Lake Union hinausgefahren war.
In seiner momentanen Stimmung wäre er beinahe geneigt einzugestehen, dass die Lawrences eventuell tatsächlich die nette, funktionierende Familie waren, als die sie ihm erschienen – verdammt, eine solche Harmonie hatte er nie zuvor erlebt aber womöglich gab es das ja?
Die Vorstellung wurde dadurch noch verstärkt, dass er als Ersten Tate vor dem Lawrenceschen Haus sah. In nichts als einer verblichenen Badehose tobte der Junge über den Hof und kämpfte mit wehenden dunklen Haaren und wild geschwungenem Plastikschwert gegen einen unsichtbaren Feind.
J.D. blieb stehen und rief zu ihm hinüber: »Wie viele Schurken hast du schon erledigt?«
»J.D.!« Das Schwert fiel auf die Erde und der Junge rannte begeistert auf ihn zu. »Ich habe sie alle fix und fertig gemacht.« Er sah J.D. mit großen blauen Augen an. »Was bedeutet dabei eigentlich fix?«
»Gute Frage.«
Allerdings war die Frage wohl nicht weiter wichtig, denn Tate tat J.D.'s Unwissenheit achtlos mit einem Schulterzucken ab. »Sind Sie gekommen, um mit uns schwimmen zu gehen?«
»Nein. Ich habe eine Nachricht für deinen Opa.«
»Oh. Wenn Sie mit ihm gesprochen haben, können Sie, wenn Sie wollen, ja trotzdem noch mit uns schwimmen. Wir schwimmen um die Wette bis zum Floß.«
»Das klingt wirklich toll, aber ich habe kein Badezeug dabei.« Allerdings hätte er ganz sicher nichts dagegen, Dru noch einmal in ihrem Badeanzug zu sehen.
»Sie sollten sich endlich eine Badehose kaufen.«
»Weißt du, genau das habe ich mir auf dem Weg hierher bereits ebenfalls überlegt. Eventuell fahre ich morgen in den Ort, um mir eine zu besorgen.«
»Ich fahre morgen auch ins Dorf. Ich und Billy Drooder wollen uns dort treffen und danach darf ich noch bei ihm übernachten.«
»Klingt ziemlich spaßig.«
»Ist es auch. Wir werden uns Videos ausleihen und nach dem Abendessen glotzen.« Er trat einen Schritt näher und senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Erzählen Sie es ja nicht meiner Mutter, aber Billys Mom lässt ihn sogar Filme gucken, die erst ab dreizehn sind.«
»Und das ist echt cool?«
»Megacool sogar. Aber wie gesagt, erzählen Sie es bloß nicht meiner Mutter.«
J.D. schwor feierlich: »Meine Lippen sind versiegelt, Kumpel.«
»In welcher Sache?«
J.D. blickte auf und verfolgte, wie Dru zusammen mit Sophie und Ben die Stufen der Veranda herunterkam. Sie alle waren mit Badesachen bekleidet, nur dass Dru, wie er voller Bedauern bemerkte, eine abgeschnittene Jeans über ihrem Badeanzug trug.
»Weshalb sind Ihre Lippen versiegelt?«, fragte sie erneut.
J.D., dem die plötzliche Anspannung des Jungen auffiel, zuckte mit den Schultern. »Wenn ich das erzählen würde, wären sie nicht mehr versiegelt, oder?«
»Tate, hast du eine Frage, die du beantwortet haben möchtest? Du weißt, dass du mit allem zu mir kommen kannst.« Dru wandte sich stirnrunzelnd an J.D. »Tate hat keine Geheimnisse vor mir.«
J.D. versuchte vergeblich, nicht zu schnauben: »In was für einer Welt leben Sie eigentlich? Vielleicht bin ich keine besondere Autorität für Familienangelegenheiten ...«
Jetzt war es an Dru zu schnauben. »Welch eine Einsicht!«
»... aber so viel kann ich zu diesem Thema sagen: Der Junge muss erst noch geboren werden, der seiner Mutter alles sagt. Aber keine Sorge. Wir haben keine weltbewegenden Geheimnisse vor Ihnen. Wir haben uns nur über Männersachen unterhalten.«
»Ja«, stimmte Tate ihm eifrig zu. »Männersachen.«
Dru sah aus, als wäre die Sache für sie noch lange nicht erledigt, doch Ben kam ihr zuvor: »Können wir etwas für Sie tun, J.D.?«
Er klang bei weitem nicht so freundlich wie gewöhnlich und J.D. bedachte ihn mit einem ehrlich überraschten Blick. Er hatte Ben seit über einer Woche nicht gesehen, wie also hätte er ihm an den Karren fahren sollen? Schulterzuckend zog er den Zettel mit der Nachricht aus der Tasche. »Es geht wohl eher darum, dass ich etwas für Sie tun kann. Heute Nachmittag kam ein Anruf von einem gewissen Henry Briggs. Er hat gesagt...«
Ben riss ihm den Zettel aus der Hand.
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