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Dschiheads

Dschiheads

Titel: Dschiheads Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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»Ja, ich bin ein Fossil, Bruder.«
    Â»Aber wir sind doch gleich alt.«
    Â»Zeit spielt für uns Tote keine Rolle. Zeit ist etwas, das hinter uns liegt. Etwas, das uns freigegeben hat.«
    Ailif nickte. »Was schlägst du also vor?«
    Batta scharrte wieder mit dem Huf im Kies. »Wir können es versuchen. Kennst du den Dingan’s Club? Gegenüber der alten Reismühle. Frag nach der Reismühle.«
    Â»Ich werde ihn finden.«
    Â»Er liegt in der Nähe eines Portals, einer Junction, wie sie es hier nennen. Jedenfalls behauptet das der Wirt.«
    Â»Okay. Versuchen wir es.«
    Â»Dann bis heute Abend im Dingan’s.«
    Batta ging davon. Ailif sah ihm nach. Der Schritt seines Bruders war eigenartig beschwingt, als hätte man ihm Spiralfedern in die Fußgelenke eingesetzt. Er blickte sich nicht um, obwohl Ailif sich nichts sehnlicher gewünscht hätte.
    Im Dingan’s schien es hoch herzugehen. Bis auf die Straße waren lautes Stimmengewirr und Lachen zu hören. Etliche Lichter brannten, offenbar Kerzen. Die Fenster waren beschlagen, sodass man die Gäste nur schemenhaft sah. Die Nachtluft war vorfrühlingshaft kühl.
    Ailif öffnete die Tür zum Schankraum.
    Totenstille.
    Durch die staubigen und verschmierten Fenster fiel letztes Abendlicht. Das Mobiliar war verschwunden, die Theke zerbrochen, die Wände von Spinnweben überzogen und von zerfledderten Postern bedeckt, die für längst vergangene Ereignisse warben. Hier war seit Jahren kein Mensch mehr gewesen.
    Ailif betrat den benachbarten Raum. Die Tür fehlte. Im Innern waren Möbel aufgetürmt, Tische und Stühle übereinandergestellt. Die meisten davon zerbrochen. Die Decke war wasserfleckig, die Wände von schwarzem Schimmel überzogen.
    Eine tote Junction.
    Als er wieder ins Freie trat, meinte er den Schrei eines Raben zu hören. Einen spöttischen Schrei?
    Wer versteht schon die Raben?
    Er hob den Blick, konnte aber keinen Vogel sehen.
    Wenn es das Wetter zuließ, machte Ailif jeden Tag seinen Spaziergang im Park und setzte sich auf die Bank, auf der er am liebsten saß.
    Er sah seinen Bruder nie wieder.

| 20 |
    Es war bereits Nacht, als das Elektroboot erneut langsam an unserem Versteck vorbeischnurrte. Der Lichtstrahl des Suchscheinwerfers fuhr über das Schilf.
    In diesem Moment begann Ailif zu schreien. Ich warf mich auf ihn und drückte ihm den feuchten Lappen auf den Mund.
    Es ging also los.
    Das Boot fuhr weiter. Sie hatten den Schrei nicht gehört, ich hatte ihn rechtzeitig erstickt.
    Ailifs Augen waren vor Schreck geweitet und unnatürlich weiß in dem schweißüberströmten schwarzen Gesicht. Er starrte mich an, schien mich aber nicht zu sehen. Dann hob er den Blick zum Himmel, an dem zwei helle Vollmonde zu sehen waren.
    Â»Es sind tiefe Seen auf den Monden«, flüsterte er. Und dann schrie er wieder. Ein langer qualvoller Schrei, der in einem Röcheln endete. Er hatte das Bewusstsein verloren.
    Ich sah nach seinem Bein. Im Mondlicht konnte ich erkennen, wie das erste Fletschjunge die Haut durchbrach. Mit seiner schwarzen Rückenflosse, scharf wie eine winzige gezähnte Klinge, schnitt es sich einen Ausgang. Eine Minute später erschien das zweite, dann das dritte, dann das vierte … Bald sah Ailifs Oberschenkel aus, als sei er dicht von schwarzen Federn bedeckt.
    Ich konnte mir vorstellen, welche Schmerzen das bedeutete. An sieben Stellen war die Haut aufgeschlitzt, und sieben fingerlange Rankentiere wanden sich ins Freie. Das erste ließ sich auf den Boden fallen und strebte zielsicher aufs Wasser zu. Ich zertrat es. Gleich darauf verendete das zweite knirschend unter der Sohle meiner Sandale. Ich erwischte und erledigte sie alle.
    Ich hasste diese Viecher. Wie konnte Gott solche Kreaturen in die Welt setzen, die nur Qual verursachten und sonst absolut unnütz waren?
    Trotz des hellen Mondlichts – zwei der großen Apostel standen dicht beieinander – musste ich eine Zeit lang geschlafen haben. Ich erwachte durch ein patschendes und raschelndes Geräusch am Fluss. Ein Fletsch suchte mit seinen Ranken das Ufer ab. Vermutlich das Elterntier, das seine geschlüpfte Brut vermisste.
    Die beiden Apostel sanken dem Horizont entgegen. Sie sahen wie die riesigen Augen eines nachtaktiven Tiers aus, das über den Himmel kroch.
    Vor der Morgendämmerung kam Nebel auf. Ich hörte eine Schiffsglocke und sah

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