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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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gemischt mit Milchpulver und Wasser, oder Pfannkuchen. Öfters entdeckten wir kleine Käfer oder Insekten in unserem Frühstück, die sich irgendwie durch die Verpackung geknabbert hatten. Nach einiger Zeit störte uns das nicht mehr – es gab ja doch nichts anderes zu essen. »Eure Extraportion Protein« nannte es Mama, und wir glaubten ihr.
    Eines Morgens aber, kurz nach unserer Ankunft, brachten uns die Fayu ein paar riesige Eier. Es waren Königstaubeneier. Papa hatte ein Tauschsystem eingeführt: Wenn die Dorfbewohner uns Essen oder interessante Gegenstände anboten, tauschten wir sie gegen Messer, Fischhaken oder Seile. Und so waren wir an jenem Tag an sechs leckere, gigantische Eier gekommen, die Papa für irgendetwas eingehandelt hatte. Wir freuten uns riesig über die Abwechslung zum Frühstück. Pfannkuchen und Haferflocken werden nach einiger Zeit langweilig.
    Am nächsten Morgen, wir saßen schon alle am Tisch, erhitzte Mama ein wenig Öl und nahm eines der Eier. Es war so groß, dass sie es mit beiden Händen halten musste. Dann zerbrach sie es über der Pfanne. Aber anstatt des lang ersehnten Weiß und Gelb flutschte ein kleines angebrütetes Küken heraus, fiel ins Öl und fing an zu brutzeln. Uns wurde bei diesem Anblick sofort schlecht. Der Hunger war wie weggeblasen. Mein Herz sank, als ich das kleine Küken in der Pfanne sah: Wie traumhaft wäre es gewesen, ihm beim Schlüpfen zuzuschauen und es großzuziehen!
    Von diesem Tag an öffnete Mama jedes Ei vorsichtig erst einmal draußen, und wenn es bereits mit einem Küken belegt war, gab sie es den Fayu, die es mit Begeisterung verspeisten und nicht verstanden, warum wir es weggegeben hatten. Wir aber brauchten eine ganze Weile, bis wir wieder mit »Genuss« Königstaubeneier essen konnten.
    Ein paar Tage später, ich spielte gerade mit Christian vor dem Haus, bemerkte ich einen kleinen Jungen, der uns schon mehrere Tage lang aus sicherer Distanz beobachtet hatte und alles aufmerksam verfolgte, was wir taten. Er schien weniger Angst vor uns zu haben als die anderen Kinder. Ich schätzte, dass wir im gleichen Alter waren.
    Heute aber interessierte mich vor allem, was er in der Hand hielt: einen kleinen Bogen mit mehreren Pfeilen. Ich ging langsam auf ihn zu, und o Wunder, er rannte nicht weg und fing auch nicht an zu weinen, wie die meisten anderen Kinder es getan hätten. Als ich dann vor ihm stand, streckte ich meine Hand nach dem Bogen aus. Zu meiner Freude gab er ihn mir sofort.
    Christian sah das und gesellte sich zu uns, und gemeinsam untersuchten wir dieses handwerkliche Meisterwerk. Nach einigen Minuten wollte ich dem Fayu-Jungen Pfeile und Bogen zurückgeben. Aber er schüttelte nur den Kopf und schob mir alles wieder zu. Christian verstand als Erster, dass er es mir schenken wollte – und ich war überglücklich. Mit Handzeichen gab ich dem Fayu-Jungen zu verstehen, er solle kurz warten. Ich rannte ins Haus und kippte meinen Rucksack auf dem Bett aus, auf der Suche nach einer Gegengabe. Da sah ich einen kleinen roten Spiegel, den ich in der Hauptstadt Jayapura geschenkt bekommen hatte. Zufrieden sauste ich wieder nach draußen und reichte ihn dem Jungen.
    Mit solch einer Reaktion aber hatten wir nicht gerechnet: Als der Junge sich selbst im Spiegel sah, schrie er auf und ließ ihn sofort fallen. Wir lachten, und Christian hob das kleine Ding vom Boden auf und zeigte dem erschrockenen Jungen sein eigenes Spiegelbild. Dann hielt er den Spiegel wieder dem Jungen entgegen. Inzwischen hatten sich auch andere Fayu genähert, um zu sehen, was vorging.
    Der Junge nahm den Spiegel vorsichtig zurück. Seine Augen wurden immer größer. Er bewegte seinen Kopf hin und her, schnitt Grimassen, berührte sein eigenes gespiegeltes Ich mit den Fingern. Bald entstand große Aufregung unter den versammelten Fayu: Alle wollten einmal ihr Gesicht betrachten. Christian und ich amüsierten uns köstlich bei dem Anblick und konnten damals noch nicht nachfühlen, wie es sein musste, zum ersten Mal im Leben das eigene Spiegelbild zu sehen. Wir verließen die Menschenmenge, um uns Interessanterem zu widmen: dem neuen Pfeil und Bogen.
    Nach einiger Zeit kam der Fayu-Junge, der den Spiegel wie eine Trophäe in seiner Hand hielt, wieder auf uns zu. Er zeigte mit dem Finger auf sich selbst und sagte: »Tuare.«
    Ich zeigte auf mich und sagte: »Sabine.«
    Er wiederholte meinen Namen mühelos.
    Dann zeigte Christian auf sich und sagte: »Christian.« Tuare versuchte,

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