Du bist das Boese
Aushilfe für samstags und in besonderen Fällen auch für sonntags. Diese Aushilfe war Elisa Sordi, die Göttin und angehende Buchhalterin.
»Dann bist du ja samstags mit ihr allein. Wie hältst du das bloß aus?«
»Da gibt’s nichts auszuhalten. Ich hab dir doch schon erklärt, dass Elisa tabu ist. Dich stört nur, dass ich Paola treu bin. Es wäre dir lieber, wenn ich hin und wieder ein Auge zudrücken würde.«
Das stimmte nicht. Allerdings beneidete ich ihn auch nicht um diesen Verzicht, den er für Selbstbeherrschung hielt. Meine Selbstbeherrschung hatte ich mir hart erkämpft, und ich war noch am Leben, weil ich am eigenen Leib erfahren musste, wie schnell man sonst weg ist vom Fenster. Aber Selbstbeherrschung beim Sex, das ging über meinen Verstand, das war wie Pfefferminzbonbons gegen Mundgeruch. Und ich hätte mir gewünscht, dass mein bester Freund es genauso sah. Sich Treue aufzuerlegen bedeutete, dem Leben zu entsagen, und das war allerdings eine Todsünde.
Um halb zwei klopfte Elisa an die Tür. Sie zeigte sich kaum und vermied es, mich anzusehen. »Ich würde dann jetzt Mittag essen gehen.« Diese Ankündigung war so unzeitgemäß, als hätte sie gefragt, ob sie mal auf die Toilette gehen dürfe. Ich trat ans Fenster und sah, dass vor dem Eingang der Villa B ein junger Mann auf sie wartete.
»Und mir erzählst du, sie sei eine Heilige …«, sagte ich verblüfft.
»Michele, bist du jetzt schon eifersüchtig? Valerio Bona ist ein alter Verehrer. Außerdem geht uns das überhaupt nichts an.«
Ich sah ihr immer noch nach. Die Göttin entfernte sich mit ihrem etwa gleichaltrigen Freund. Er war klein und schmächtig und trug eine Brille. Was für eine grausame Verschwendung. Außerdem sah er aus wie der reinste Hungerleider. Sie hatte den weißen Kittel ausgezogen und war sehr schlicht gekleidet: weite Hose und ein Sweatshirt, das sie sich nur um die Hüften geknotet hatte, um ihren herrlichen Hintern zu verstecken.
Mit so einer macht es wahrscheinlich noch mehr Spaß.
Ich schwor mir noch einmal, alles zu tun, um meinen peinlichen Auftritt wiedergutzumachen. Schließlich war das nur unsere erste Begegnung gewesen.
Angelo musste Cardinale Alessandrini noch ein paar Dinge mitteilen, bevor wir essen gehen konnten.
»Komm mit hoch, Michele, er wird sich freuen. Einen Polizisten kann man immer gebrauchen«, setzte er kichernd hinzu.
Die Penthousewohnung des Prälaten war riesig: ein geräumiger Salon, unzählige Zimmer und mehrere Bäder, dazu eine große Terrasse, von der aus man über den Park bis zum Pförtnerhäuschen an der Via della Camilluccia sah. Der Salon war bevölkert von jungen farbigen Priestern und Schwestern, die französisch miteinander sprachen. Eine Art katholische Jugendherberge in Luxusausführung.
»Das sind die jungen Leute, die wir unterbringen müssen. Eigentlich sollten sie heute Morgen nach Hause fliegen, aber in ihrer Heimat hat ein Staatsstreich stattgefunden, und der Flughafen wurde geschlossen«, erklärte Angelo.
Alessandrini, der einzige Weiße außer uns beiden, ging in Alltagskleidung zwischen den jungen Leuten umher und verteilte kalte Limonade aus einer großen Karaffe. Ein kleiner Mann um die fünfzig, der große Energie ausstrahlte. Sein kurz geschnittenes graues Haar bildete einen auffälligen Kontrast zu den wachen und intelligenten schwarzen Augen.
Mit ausgestreckter Hand und einem Lächeln trat er auf mich zu. »Sie müssen Michele Balistreri sein.« Und an Angelo gewandt: »Nehmt euch ein Glas Limonade. Ich bin gleich wieder da.«
Er ging ans Telefon. Das Gespräch war kurz, sein Englisch perfekt.
»Richten Sie Ihrer Heiligkeit aus, dass ich da ganz anderer Meinung bin, bei allem Respekt. Es gibt keinerlei Gewalt. Der Staatsstreich verläuft vollkommen unblutig. Dass es sich nicht um Katholiken handelt, ist ein anderes Thema, aber man wird sicher eine Verhandlungsbasis finden.«
Er kam wieder zu uns und rückte sich die Brille auf der Hakennase zurecht.
»Die gegenwärtigen Würdenträger des Vatikan haben keine großen Sympathien für die Kommunisten, genau wie Sie.«
Ich blickte zu Angelo. Der schüttelte den Kopf. Nein, es war nicht seine Art, meine Privatangelegenheiten weiterzuerzählen. Entweder sah man mir meine Einstellung an, oder der Kardinal hatte sich über mich informiert, weil ich mit dem Verlobten seiner Nichte befreundet war. So oder so, es war mir egal.
»Ich glaube nicht, dass ich mit den Würdenträgern des Vatikan irgendeine
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