Du bist das Boese
Meinung teile. Nicht einmal über die Kommunisten.«
Der Kardinal ignorierte meine Bemerkung und führte uns in die einzige Ecke des Salons, in der sich keine lauten jungen Afrikaner tummelten.
»Eminenz, es gibt da ein Problem«, sagte Angelo. »Wir haben nicht genug Platz für alle, und die Hotels sind komplett ausgebucht. Uns fehlen ungefähr zwanzig Betten.«
Das war ein anderer Angelo Dioguardi als der, den ich kannte. So steif, so unsicher. Der Kardinal hatte zu viel Einfluss auf ihn.
Alessandrini musste lachen. »Armer Angelo, du kriegst es wohl nicht hin, die Betten zu vermehren wie der Herrgott die Fische! Kein Problem. Die Priester bleiben über Nacht hier bei mir. Die Schwestern musst du natürlich woanders unterbringen, man kann ja nie wissen …«
»Aber, Eminenz, selbst in dieser großen Wohnung gibt es nicht genug Betten. Wo sollen die Leute denn alle schlafen?«
Der Kardinal zeigte auf die Terrasse. »Ich habe vergangene Nacht auch draußen geschlafen, wegen der frischen Luft. Daran sind sie doch aus Afrika gewöhnt. Ich habe Paul nach San Valente geschickt, um Schlafsäcke zu besorgen.«
Angelo entspannte sich, und der Kardinal wandte sich an mich. »Sie sind also Polizist.« Diesen Satz hatte ich schon mit tausend verschiedenen Untertönen gehört, oft ironisch und manchmal fast beleidigend. Alessandrinis Stimme verriet nur Neugier. Gleichzeitig lieferte er mir die Bestätigung dafür, dass er alles über mich wusste. In diesem Anwesen wurde man nur nach eingehender Prüfung empfangen, und das auch nur ohne Auto.
»Als Kind war es mein großer Traum, Polizist zu werden«, gestand der Kardinal. »Der liebe Herrgott wollte aber, dass ich einer anderen Art von Gerechtigkeit diene.«
Ich hatte meine eigenen Ansichten zum problematischen Verhältnis zwischen irdischer und göttlicher Gerechtigkeit, wobei mir dies nicht der richtige Moment schien, um über Nietzsche und die Evangelien zu diskutieren. Dieser mächtige und zugleich liebenswürdige Mann flößte Respekt ein, aber sympathisch war er mir nicht. Er war Priester, und da ich viele Jahre auf konfessionellen Schulen verbracht hatte, wusste ich, dass sich hinter dieser Milde brennende Glut verbergen konnte. Seit in der fünften Klasse eine schlaffe Hand in meine kurze Hose gekrochen war, während ihr Besitzer mir etwas über die Güte des Herrn gepredigt hatte, war ich misstrauisch.
Er las meine Gedanken. »Ich weiß, Sie sind ein Freidenker, vielleicht antiklerikal oder sogar antireligiös. Schauen Sie, ich respektiere die irdische Gerechtigkeit, aber ich kenne auch ihre tragischen Fehler. In dieser Welt befinden oft die Falschen darüber, was recht und was unrecht ist.«
Jetzt hatte ich aber die Nase voll. »Wer auf das Jenseits wartet, vergeudet sein ganzes Leben damit, seine Sünden zu beweinen. Reue in Buße und Absolution zu verwandeln, ist doch nur eine Art, vor dem Leben zu fliehen.«
Angelos bestürzter Blick ließ mich innehalten, aber der Kardinal war nicht der Typ, sich von einem Ungläubigen beleidigen zu lassen, erst recht nicht von einem unbedeutenden Ungläubigen wie mir.
»Ich weiß, Dottor Balistreri. Für Sie ist nur Sünde, was man Verbrechen nennt. Und die Strafe wird hier auf Erden verbüßt, möglichst hinter Gittern. Aber es war nicht der Glaube, der die Guillotine der Revolutionäre heruntersausen ließ, sondern die Aufklärung, und da rollten nicht nur die Köpfe von Schuldigen.«
»Während die Inquisition über alle Irrtümer erhaben war, habe ich recht?«
»Die Inquisition ist eins von vielen Schandmalen der Kirche. Und sie gehört in den Bereich der irdischen Gerechtigkeit.«
So erfuhr ich, dass Cardinale Alessandrini sehr eigene Ansichten vertrat, die er im Zweifelsfall auch gegen die Amtsträger des Vatikan verteidigte.
Ich hätte gern abgewartet, bis Elisa in Angelos Büro zurückkehrte, aber nach meinem Exkurs über schnelle Vögeleien und geile Flittchen hielt ich es für klüger, es erst einmal gut sein zu lassen. Bereitwillig ließ ich mich von Angelo überreden, ihn nach San Valente zu begleiten, um Padre Paul zu helfen.
Als wir den Park durchquerten, warf ich einen Blick in den zweiten Stock hinauf. Das Fenster in Elisas Büro war als einziges geöffnet. Ich zündete mir eine Zigarette an und sah auf der Terrasse von Villa A wieder etwas in der Sonne blitzen.
»Da hinten vergnügt sich jemand mit dem Fernglas.«
Angelo nickte. »Wahrscheinlich Manfredi, der Sohn von Conte Tommaso. Ein
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