Du bist nie allein
sie.
»Aber das mussten Sie doch nicht vor Mike zur Sprache bringen«, wiederholte sie genervt. »Sie hätten Julie beiseite nehmen und sie dazu befragen können! Dann hätte sie es Mike später in Ruhe erklären können.«
»Und wo ist der Unterschied?«
»Der Unterschied ist, dass Sie die beiden völlig überrumpelt und damit vermutlich einen Riesenkrach ausgelöst haben.«
»Und? Es ist nicht mein Problem, wenn die nicht ehrlich miteinander sind. Ich wollte der Sache nur auf den Grund gehen.«
»Genau« – Jennifer nickte – »das kommt noch dazu. Woher wussten Sie denn, dass er bei ihr übernachtet hat? Haben Sie etwa noch einmal mit Richard gesprochen?«
»Ja, allerdings. Habe ihn zufällig im Fitnessstudio getroffen. Er scheint ein netter Kerl zu sein.«
»Das meinen Sie doch nicht ernst!«
»Doch«, sagte Pete abwehrend. »Er wird nämlich keine Anzeige erstatten, und das sagt einiges aus, oder?«
»Und wann genau wollten Sie mir das alles mitteilen?«
»Was denn mitteilen? Wie gesagt, die Sache kann zu den Akten gelegt werden, und außerdem geht Sie das nichts an. Sie müssen den Dreh schließlich erst noch rauskriegen.«
Jennifer schloss die Augen. »Das Problem ist, Richard stellt Julie nach, und sie hat eine Todesangst. Wieso können Sie das nicht verstehen?«
Pete schüttelte unwillig den Kopf. »Hören Sie, Richard hat mir von dem Medaillon erzählt, okay? Und auch, dass er die Bilder hineingesteckt hat, als er bei ihr übernachtete. Und schließlich hat sogar Julie zugegeben, das Schmuckstück seither nicht mehr angeschaut zu haben. Wer will also behaupten, dass er lügt?«
»Und was sie sonst erzählt hat, ist Ihnen gleichgültig? Dass er ihr gefolgt ist? Finden Sie nicht, dass alles ein bisschen zu gut zusammenpasst?«
»Hey«, protestierte Pete, »ich habe mich immerhin ein paarmal mit dem Burschen unterhalten…«
Da ertönte ein Knarzen aus dem Funkgerät. Jennifer warf Pete einen bösen Blick zu und ergriff das Mikrofon.
Sylvia, die seit zwanzig Jahren Dienst in der Einsatzzentrale tat und so gut wie jeden in der Stadt kannte, sagte mit unschlüssiger Stimme:
»Wir haben eben einen Anruf von einem LKW-Fahrer bekommen, der auf dem Highway unterwegs ist. Er meinte, er hätte in einem Graben was Merkwürdiges gesehen, und fand, wir sollten mal einen Wagen hinschikken.«
»Was glaubt er denn gesehen zu haben?«
»Keine Ahnung, schließlich ist es dunkel. Die Stelle befindet sich gleich am Highway 24, ungefähr eine Viertelmeile hinter der Amoco-Tankstelle.«
»Wir überprüfen das«, erwiderte Jennifer, insgeheim froh, dass Pete nun endlich die Klappe halten musste.
Mike war seit einer halben Stunde fort, und im Haus war es unheimlich still. Julie überzeugte sich, dass alle Fenster und Türen geschlossen waren, und lief dann unruhig im Wohnzimmer auf und ab. Singer folgte ihr unablässig. Von draußen hörte sie Grillengezirpe und das leise Rascheln der Blätter im Abendwind.
Julie verschränkte die Arme und sah zur Tür. Gleich darauf winselte Singer, und Julie tätschelte ihn.
Richard hatte die Bilder nicht an jenem Abend in das Medaillon gesteckt, da war sie sicher. Lieber Himmel, er war doch eben erst von einer Beerdigung gekommen! Und da sollte er zufällig zwei Bildchen von sich dabeihaben, in der Hoffnung, sie in das Medaillon stecken zu können, während Julie im anderen Zimmer schlief?
Nie und nimmer.
Nein, er war hier gewesen. In ihrem Haus. Hatte sich umgesehen, Schubladen geöffnet, ihre Sachen durchwühlt. Mit anderen Worten, er wusste, wie er hineingelangte.
Und er konnte jederzeit wiederkommen.
Bei dem Gedanken schnürte sich Julies Hals zusammen. Sie hastete in die Küche, schnappte sich einen Stuhl und klemmte ihn unter den Knauf der Haustür.
Wie konnte Mike sie nur allein lassen? Wie um alles in der Welt konnte er sie
an diesem Abend
allein lassen?
Sie hatte ihm nicht von jener Nacht erzählt. Na und? Es war doch nichts geschehen!
Aber Mike hatte ihr nicht geglaubt. Das verletzte und erzürnte sie sehr.
Julie ließ sich auf das Sofa sinken und brach in Tränen aus.
»Glaubst du ihr?«, fragte Henry.
Mike senkte den Blick und seufzte. »Ich weiß es nicht.« Henry starrte ihn an. »Aber du musst ihr glauben!« »Und warum?«, blaffte Mike.
»Weil du Julie kennst«, beharrte Henry. »Du kennst sie besser als jeder andere.«
Nach einer Weile löste sich die Spannung in Mikes Schultern ein wenig. »Nein«, sagte er endlich. »Ich glaube nicht, dass
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