Du bist nie allein
viele von ihnen sich gern ausdrückten.
Aber Richard hatte heute Morgen im Salon angerufen und nach Julie gefragt.
Schlimmer noch, Julie hatte ihn vermutlich nicht zum Essen einladen müssen, um ihn so weit zu bringen. Warum nur bekam Julie immer die guten Typen ab? An ihrem Outfit konnte es nicht liegen. Meistens sah sie geradezu unscheinbar aus, mit ihren Jeans und den Schlabberpullis und – mal ehrlich – den hässlichen Tretern. Sie bemühte sich überhaupt nicht, ihre Figur zur Geltung zu bringen, ihre Nägel waren nicht manikürt, und braun war sie auch nicht, außer im Sommer, und das war schließlich nichts Besonderes. Warum also war Richard so von Julie angetan? Andrea und Julie waren beide im Salon gewesen, als Richard letzte Woche hereinkam, um sich die Haare schneiden zu lassen, sie hatten beide gerade nichts zu tun und sahen gleichzeitig hoch und sagten Hi. Aber Richard hatte sich an Julie gewandt, nicht an Andrea, und das hatte irgendwie zu einer Verabredung geführt. Andrea bekam schlechte Laune, wenn sie nur daran dachte.
»Aua!«
Andrea schreckte auf und sah auf das Spiegelbild ihres Kunden, eines Anwalts Anfang dreißig. Er rieb sich den Kopf. Andrea zog die Hände zurück.
»Was ist passiert, Schätzchen?«
»Sie haben mir die Schere gegen den Kopf gerammt.«
»Wirklich?«
»Ja. Hat wehgetan.«
Andrea klimperte mit den Wimpern. »Entschuldigung, Schätzchen. Ich wollte Ihnen nicht wehtun. Sie sind mir doch nicht böse, oder?«
»Nein… natürlich nicht«, sagte der Mann zögernd und nahm die Hand vom Kopf. Mit kritischem Blick musterte er im Spiegel ihr Werk. »Finden Sie nicht, dass die Frisur irgendwie schief ist?«
»Wo?«
»Hier.«
Er deutete mit dem Finger hin. »Diese Seite haben Sie viel zu kurz geschnitten.«
Andrea blinzelte zweimal und legte den Kopf langsam erst auf die eine, dann auf die andere Seite. »Ich glaube, der Spiegel ist schief.«
»Der Spiegel?«, wiederholte er.
Sie legte dem Mann die Hand auf die Schulter und lächelte. »Also, ich finde, Sie sehen toll aus, Schätzchen.«
»Ach ja?«
Gegenüber, am Fenster, hob Mabel den Blick von ihrer Zeitschrift. Der Kunde schmolz geradezu im Frisiersessel dahin. Mabel schüttelte den Kopf, während Andrea ihre Arbeit fortsetzte. Scheinbar beruhigt, setzte sich der Mann etwas aufrechter hin.
»Hören Sie, ich habe Karten für das Faith-Hill-Konzert in Raleigh in ein paar Wochen«, sagte er. »Ich frage mich gerade, ob Sie vielleicht mitkommen möchten.«
Leider war Andrea in Gedanken schon wieder bei Richard und Julie. Mabel hatte ihr erzählt, dass sie im Slocum House gewesen waren. Im Slocum House! Da war sie zwar noch nie gewesen, aber sie wusste, dass es sich um ein Nobelrestaurant handelte, so eins mit Kerzen auf den Tischen. Wo einem der Mantel abgenommen und in einem separaten Raum aufgehängt wurde. Und es gab dort Tischdecken aus Stoff, nicht diese billigen aus rotweiß kariertem Plastik. Die Männer, mit denen
sie
ausging, hatten sie nie in solch einen Laden geführt. Die
wussten
vermutlich nicht mal, dass es solche Restaurants gab.
»Tut mir Leid, aber da kann ich nicht«, antwortete sie automatisch.
Richard schickte Julie vermutlich auch Blumen. Vielleicht sogar Rosen. Rote Rosen! Vor ihrem geistigen Auge sah Andrea es deutlich vor sich. Warum bekam Julie immer die guten Typen ab?
»Oh«, sagte der Mann.
Sein Tonfall holte Andrea in die Wirklichkeit zurück. »Wie bitte?«, fragte sie.
»Nichts. Ich hab nur ›oh‹ gesagt.«
Andrea hatte keine blasse Ahnung, wovon er redete. Im Zweifelsfall immer lächeln, dachte sie und lächelte. Worauf der Mann erneut dahinzuschmelzen begann. Mabel musste sich ein Lachen verkneifen.
Eine Minute nachdem Singer hereingetapst war, sah Mabel auch Julie durch die Tür kommen. Noch bevor sie Hallo sagen konnte, ergriff Andrea das Wort.
»Richard hat angerufen«, sagte sie, ohne ihren Unmut zu verbergen. Dabei feilte sie energisch an ihren perfekt manikürten Nägeln herum.
»Tatsächlich?«, fragte Julie. »Was wollte er denn?« »Hab ich nicht gefragt«, sagte Andrea spitz. »Ich bin schließlich nicht deine Sekretärin.«
Mabel schüttelte den Kopf, wie um Julie zu sagen, dass sie Andreas Worte nicht ernst nehmen sollte.
Mabel war dreiundsechzig und eine von Julies engsten Freundinnen – dass sie auch noch Jims Tante war, spielte eigentlich keine Rolle mehr. Vor elf Jahren hatte Mabel Julie Arbeit und ein Dach über dem Kopf gegeben, was Julie ihr nie
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