Du bist nie allein
war.
Also blieben sie. Wieder mal. Wie immer.
In der Nacht hörte er abermals seine Eltern im Schlafzimmer, aber diesmal stritten sie sich nicht. Stattdessen hörte er sie lachen, hörte, wie sie sich küssten. Später keuchten sie, und seine Mutter rief den Namen seines Vaters. Als Richard am nächsten Morgen in die Küche kam, standen seine Mutter und sein Vater eng umschlungen da. Sein Vater zwinkerte ihm zu, und Richard beobachtete, wie er seine Hände hinabgleiten ließ, bis sie auf dem Rock seiner Mutter ruhten.
Richard sah, wie seine Mutter errötete.
Er schlug die Augen auf. Nein, dachte er, Julie durfte nicht hier bleiben. Sie sollte das Leben führen, für das sie bestimmt war, das sie verdient hatte. Er würde sie aus all dem herausholen.
Wie töricht von ihm, wegen des Medaillons solch ein Theater zu machen. Wirklich töricht. Das würde ihm nicht noch einmal passieren.
Ganz in Gedanken versunken, nahm er kaum wahr, dass das Telefon läutete, aber er stand noch rechtzeitig auf und ging dran, bevor der Anrufbeantworter ansprang.
Auf dem Display erkannte er die Vorwahl von Daytona. Er atmete tief durch und meldete sich dann.
Kapitel 13
I n ihrem dunklen Schlafzimmer warf Julie, geplagt von Kopfschmerzen, ein Kissen nach Singer.
»Kannst du bitte still sein!«, jammerte sie.
Singer ignorierte das Kissen. Unbeirrt blieb er in der Schlafzimmertür stehen, hechelte und knurrte, weil er offenbar wollte, dass Julie aufstand und ihn hinausließ, damit er »nach dem Rechten sehen« konnte. Die letzte Stunde über war er durchs Haus gestreift, vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer und wieder zurück, und mehr als einmal hatte er seine feuchte Nase an Julie gedrückt und ihr damit einen Heidenschrecken eingejagt.
Jetzt zog sie sich das Kissen über den Kopf, konnte ihn aber immer noch hören.
»Da draußen ist nichts«, murmelte sie genervt. »Es ist mitten in der Nacht, und ich stehe nicht auf.«
Doch Singer knurrte weiter.
Julie bewarf ihn mit dem letzten Kissen, worauf Singer lautlos durchs Zimmer kam und ihr die Nase ins Ohr stieß. Sie fuhr hoch und wischte sich mit dem Finger den Speichel fort.
»Das reicht! Schluss!«
Singer wedelte mit dem Schwanz, sichtlich zufrieden.
Na also, es geht doch. Jetzt komm!
Er trottete zum Zimmer hinaus.
»Na schön! Soll ich dir beweisen, dass da draußen nichts ist, du verrückter Köter?«
Julie massierte sich stöhnend die Schläfen, bevor sie sich erhob und ins Wohnzimmer wankte. Singer stand schon am vorderen Fenster. Er hatte mit der Nase die Vorhänge beiseite geschoben und schaute von links nach rechts. Julie spähte auch hinaus, sah aber nichts.
»Siehst du? Nichts. Wie ich dir gesagt habe.«
Doch Singer gab keine Ruhe. Er lief zur Tür hinüber. »Wenn du rauswillst, rechne nicht damit, dass ich wegen dir aufbleibe. Dann bleibst du draußen. Ich geh wieder ins Bett. Mein Kopf tut wirklich weh – aber was kümmert’s dich…«
Singer schien es tatsächlich nicht zu kümmern. »Na gut«, sagte Julie. »Wie du willst.«
Sie öffnete die Tür. Anders als erwartet stürmte Singer nicht gleich auf das Wäldchen zu. Stattdessen trat er auf die Veranda, bellte zweimal und senkte dann die Nase, um zu schnüffeln. Julie ihrerseits verschränkte die Arme und blickte sich um.
Nichts. Kein Anzeichen, dass irgendwer hier gewesen war. Abgesehen von den Fröschen und den Grillen war es still. Die Blätter regten sich nicht, die Straße war leer. Zufrieden machte Singer kehrt und kam wieder ins Haus. »Das war’s? Dafür hast du mich hochgescheucht?« Singer sah zu ihr hoch.
Die Luft ist rein,
schien er zu sagen.
Kein Grund zur Beunruhigung. Geh nur und schlaf
ruhig weiter.
Julie funkelte ihn böse an und machte sich auf den Weg zurück ins Schlafzimmer. Singer kam nicht mit. Als sie sich noch einmal blinzelnd umschaute, sah sie ihn wieder am Fenster sitzen.
»Mach, was du willst«, murmelte sie.
Im Badezimmer nahm sie wegen des anhaltenden Pochens in ihrem Kopf eine Tylenol PM, um endlich schlafen zu können.
Als Singer eine Stunde später erneut zu knurren begann, diesmal wirklich böse, hörte Julie nichts davon.
Am nächsten Morgen strahlte die Sonne grell von einem Himmel, der so blau war, dass es fast künstlich wirkte. Julie stand in der Auffahrt, sie trug eine Sonnenbrille, aber glücklicherweise waren ihre Kopfschmerzen längst nicht mehr so heftig wie in der Nacht. Singer wartete neben ihr, während sie die Notiz überflog, die unter dem
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