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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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Baby. Jemand hupte dreimal, aber niemand lachte. Schnitt. Eine Decke wurde um meine Schultern gelegt. Und zum Schluß lag ich auf einem Bett, und mein Mund war fusselig vom Reden. Eine kalte Schicht Speichel bedeckte meine Zunge, und ich konnte sie nicht runterschlucken. Schnitt. Ich schlief und schlief und schlief. Schnitt.
    Als ich wieder wach wurde, war ich Insassin einer geschlossenen Anstalt am Stadtrand von Hamburg.
2
    Außer meinen Eltern bekam ich keinen Besuch. Erst dachte ich, meine Clique hätte mich vergessen. Dann erzählte mir einer der Pfleger, daß niemand sonst zu mir durfte. Als ich meine Eltern darauf ansprach, sagten sie beinahe gleichzeitig: »Es ist zu deinem Besten«, und mir fehlte die Kraft zu argumentieren.
    Mein Kopf war in diesen Wochen träge. Die Medikamente dämpften meine Reaktionen. Sie waren unsichtbare Schnüre, die jeden Gedanken und jede Geste umschlangen. Morgens und abends und nachts.
    Tagsüber kamen andere Patienten zu mir. Sie hatten keine Namen. Sie waren verschiedene Gesichter mit den gleichen treibenden Gedanken dahinter. Sie hatten so viel zu erzählen, daß ich vom Zuhören berauscht wurde. Sie durchschauten die Naturgesetze, sie durchschauten den Tod und begriffen die Zusammenhänge der Elementarteilchen. Einige wußten von der Langsamkeit, sie sprachen von Spiegeln, die überall zu finden waren; einige glaubten, sie würden schlafen und nie mehr erwachen. »Alles ist nur ein Traum«, flüsterten sie und drückten mir Zettel in die Hand. Auf den Zetteln stand Schlaf jetzt oder Schau dich um. Ich gab ihnen die Zettel zurück. Sie schoben sie sich verstohlen in die Taschen ihrer Morgenmäntel und Jogginghosen und gingen weg - immer an den Wänden entlang, nie mitten durch den Flur.
    Nach drei Wochen durfte ich in die offene Abteilung wechseln. »Es geht Ihnen besser«, wurde mir gesagt, »die Medikamente haben angeschlagen.« Ich war erleichtert, aus der Geschlossenen herauszukommen.
    In diesen Tagen rauchte ich eine Zigarette nach der anderen und hatte keine Ahnung, warum ich in die Offene wechseln durfte. Ich fühlte mich nicht besser. Ich fühlte mich verloren und ohne Anhaltspunkt. Der Anhaltspunkt kam, als ich begriff, was mir passiert war. Ich hatte die Chance gehabt, die Welt zu sehen, wie sie wirklich war, und jetzt war die Chance verschwunden. Die Welt war nur noch glatt und starr. Farben und Gerüche fehlten. Von einem Tag auf den anderen fühlte ich mich alt und müde.
    Dr. Lorrent wurde meine Ärztin und versprach, das unsichere Gefühl würde sich mit der Zeit legen. Ich müßte mehr Vertrauen zu mir selbst haben und die Finger von Drogen lassen. Als ich ihr erzählte, was in der U-Bahnstation passiert war, holte sie einen Kollegen. Sie wußten es nicht, aber ich beobachtete in einem Teelöffel, wie sie zu zweit im Türrahmen standen und sich besprachen. Ich hatte dazugelernt. Es war nicht schwer, mehr zu sehen als die anderen, das konnten sie mir mit keinem Medikament nehmen. Ich hörte, daß sie ihrem Kollegen von meinem U-Bahn-Abenteuer erzählte. Er nickte, schaute zu mir und unsere Blicke trafen sich im Löffel.
    Von da an wußte ich, er war einer von den Schnellen, die taten, als wären sie langsam.

    Nach der Geschlossenen sah ich Dr. Lorrent einmal am Tag in der Therapiestunde. Sie sprach mich mehrmals auf die U-Bahn-Szene an, und ich winkte ab und sagte, das wäre doch alles nur Unsinn gewesen.
    — Ich muß so breit gewesen sein, das können Sie sich nicht vorstellen. Ich sah sogar, wie ein Pferd aus der Wand trat und den Bahnsteig vollkackte. Können Sie sich das vorstellen?
    Ich lachte zu meinem Blödsinn. Dr. Lorrent lächelte dünn, als würde es sie überhaupt nicht interessieren, aber ich wußte, daß sie scharf auf die U-Bahn-Szene war. Sie fragte kein zweites Mal nach dem Baby oder dem Restaurant, sie wollte nichts über Spiegelungen wissen und warum ich versucht hatte, mich am Haar des Taxifahrers festzuhalten. Aber nach der U-Bahn-Szene fragte sie insgesamt achtmal. Ein Taubstummer hätte kapiert, daß da etwas dahintersteckte.
    Ich war nicht taubstumm, ich war voller Neuroleptika und rauchte am Tag drei Schachteln. Es wurde Zeit, daß ich hier herauskam.

    Meine Eltern versuchten, mich nach der Entlassung zu isolieren. Sie dachten daran, für eine Weile aufs Land zu ziehen -als ob Oldenburg nicht genug Land gewesen wäre. Ich wehrte mich dagegen. Ich würde in vier Monaten zwanzig, ich hatte meinen eigenen Weg zu gehen.
    Mirko holte mich

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