Du bist zu schnell
mit seinem Kombi ab und quartierte mich vorübergehend bei sich ein. Am Wochenende gab meine Clique eine Party für mich, und ich fühlte mich mit einem Schlag nicht mehr alt und verbraucht. Die Energie floß in mich zurück. Ich erzählte meinen Leuten alles bis ins letzte Detail. Es überraschte mich, daß sie nicht überrascht waren. Zumindest nicht richtig. Sie nickten, als hätten sie das schon öfter gehört, und lachten an den richtigen Stellen, aber gewundert haben sie sich keine Sekunde.
— Jeder hat seinen Trip, sagte Didi, Du hast deinen, ich hab meinen.
— Ich hab meinen, hob Jenni hervor.
- Und ich habe deine Handynummer vergessen, sagte ich.
- Ich schreib sie dir auf, sagte Jenni und schrieb sie mir auf. So einfach ging das.
Natürlich setzte ich meine Tabletten sofort ab. Ich tauschte sie bei Julian gegen ein paar Gramm Dope ein und war mir sicher, den besseren Deal gemacht zu haben.
Es dauerte fünf Tage, dann saß ich wieder mittendrin.
Wir hatten Videofilme gesehen und Wodka-Lemon getrunken, wir hatten Musik gehört, und irgendwann gingen Jenni und Asta. Mirko beschloß, Popcorn zu machen. Ich hörte ihn in der Küche rumoren, während Fiona Apple davon sang, daß ich nicht so überempfindlich sein sollte. Ich lag auf dem Boden, hatte die Beine auf das Sofa gelegt und spürte, wie der Baß durch meinen Körper wanderte. Aus einem Blumentopf stieg kerzengerade der Rauch eines Räucherstäbchens auf. Ich sah ihn verkehrtherum und war fasziniert von seiner Ruhe. Dabei schlief ich ein. Als ich wieder wach wurde, lag ich noch immer auf dem Boden. Das Räucherstäbchen war nur noch Asche, die Musik und die Lichter waren aus. Ich stand auf, um mir ein Glas Wasser zu holen. Im nächsten Moment stand ich nicht in der Küche, sondern vor dem Haus auf der Straße und fühlte mich frei. Ich kannte das Gefühl. Ich befand mich wieder in diesem 70er-Jahre-Film und mußte herausfinden, was genau meine Rolle war. Alles war möglich, nichts gefährlich. Und weil das so war, begann ich meine Freunde abzuklappern. Ich durchquerte die Stadt, klingelte an Mietshäusern Sturm und schwor meinen Freunden über die Gegensprechanlagen ewige Liebe. Bevor sie runterkommen konnten, rannte ich weg und versteckte mich hinter Autos und in Hauseingängen.
Mirko fand mich vor dem Supermarkt. Ich saß auf dem Bordstein und wartete. Ich war durstig und wollte mir etwas zu trinken kaufen, doch der Supermarkt war noch geschlossen.
- Natürlich hat er zu, sagte Mirko, Es ist sechs Uhr früh.
-Wie hast du mich gefunden? wollte ich wissen.
- Sieh dir mal deine Füße an.
Ich schaute runter. Ich war barfuß, und der Bürgersteig um meine Füße herum glänzte rot. Ich hob den linken Fuß an und lachte los. Ich war in irgend etwas Rotes getreten. Es sah von weit oben bestimmt komisch aus - ich mußte in der Stadt eine rote Spur hinterlassen haben.
— Sherlock Holmes, sagte ich zu Mirko.
— Das muß genäht werden, sagte er und half mir beim Aufstehen. Ich hielt mich an seinem Arm fest und wollte ihm gerade erzählen, daß ich ihn lieben würde wie niemanden zuvor, als auf der anderen Straßenseite eine Frau im Jogginganzug aus einem Haus trat. Ihr Haar wurde von einem Stirnband zusammengehalten, und über den Ohren lagen rosa Kopfhörer. An ihrer Seite stand ein großer Hund. Er schaute zu uns und gähnte.
Erst dachte ich, die Frau würde sich strecken, dabei lief sie schon. Ganz langsam. Ich sah zu Mirko, der den Kopf schräg gelegt hatte. Seine Lippen bewegten sich, und was »Komm« heißen sollte, klang wie ein träges Wehklagen. Im selben Moment setzte sich der Hund in Bewegung und machte sich auf den Weg zu uns. Er wollte über die Straße, während sein Frauchen in Zeitlupe den Bürgersteig hin-unterlief. Ich hörte ein monotones Dröhnen. Ein Laster fuhr im Rückwärtsgang aus der Ausfahrt des Supermarktes. All das geschah mit einer wunderschönen Choreographie, so daß ich zum ersten Mal in meinem Leben die Kraft verstand, die das Universum zusammenhält. Ich rührte mich nicht, ich ließ es geschehen, denn es gab keinen Zufall, alles verlief nach einem Plan, der nur darauf wartete, von mir verstanden zu werden.
Der Hund erreichte die Straßenmitte und bemerkte erst da den Lastwagen. Er drehte den Kopf, drehte seinen Körper zur Seite und versuchte auszuweichen. Der linke Hinterreifen erwischte ihn. Ich sah, wie der Hund unter den Wagen gezogen wurde. Ein
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