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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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normal verhalten, wird sie sich bestimmt freuen, dich wiederzusehen.
    In diesem Moment verstand ich den Blick des Hundes. Ich wußte, wie es war, im Sterben das Leben zu begreifen, und begriff, daß nicht ich die Kranke war. Das hier war krank. Mein altes Leben. Mein altes Ich. Meine Eltern.
    —    Ich bin nicht verrückt, sagte ich.
    Mein Vater hob entschuldigend die Schultern. Seine Au-gen waren aus spiegelndem Glas. Er war ein Aal, sein Blut und seine Gedanken waren kalt. Ich hatte noch nie jemanden so sehr gehaßt wie ihn und meine Mutter.

    Ich verließ mein Elternhaus und zog diesmal bei Jenni ein. Ich schlief viel und mied das Tageslicht. Wenn jemand für mich anrief, tat ich, als wäre ich im Tiefschlaf. Die Medikamente erledigten den Rest. Ich nahm sie zwar immer zur gleichen Zeit, dennoch geriet mein Rhythmus durcheinander, weil ich unregelmäßig schlief. Ich mochte die Nacht, schlich durch Jennis Wohnung und fraß ihr den Kühlschrank leer, während sie im Bett lag und keine Ahnung hatte, was ich tat. Auch das mochte ich. Daß niemand Bescheid wußte. Ich nahm im ersten Monat vierzehn Kilo zu und wusch mich nur noch selten. Es war Asta, der mich da schließlich herausholte.
    - Wir machen eine Spritztour, sagte er und verfrachtete mich in seinen Wagen. Ohne es zu begründen, ließ er nach einigen Minuten die hinteren Fenster heruntergleiten. Ich konnte ihn verstehen, auch mir war mein Geruch unangenehm.
    Wir fuhren ans Meer.
    Asta konnte sich das erlauben, kurzentschlossen eine Spritztour zu machen. Ihm gehörte der gutgehende CD-Laden in der Einkaufspassage. Er verdiente als einziger aus der Clique genug Geld, um das zu tun, was ihm in den Sinn kam. Asta war für uns ein Wunder. Er hatte seineTräume verwirklicht, ohne sich zum Idioten zu machen. Während wir anderen herumhingen oder uns mit irgendwelchen Jobs über Wasser hielten, konnte Asta beschließen, sich um eine Freundin zu kümmern, und das war’s.
    Er hatte uns ein Doppelzimmer in einem Fitneßhotel gebucht. Vom ersten Tag an begann er mich aufzupäppeln und sorgte dafür, daß ich vernünftig aß. Er saß neben mir in der Sauna und zwang mich am Morgen, mit ihm den Sonnenaufgang zu erleben. Sogar wenn es regnete, stolperten wir über den Strand und lachten, weil es nichts Dämlicheres gab, als sich an einem bewölkten Regentag den Sonnenaufgang anzusehen.
    —    Setz deine Sonnenbrille auf, riet ich Asta.
    —    Ist deine Nase eingecremt? fragte er und hielt den Regenschirm so, daß ich naß wurde.

    -Warum tust du das alles? wollte ich nach der ersten Woche wissen. Es war Mitte Mai, Asta hatte das Doppelzimmer bis zum Ende des Monats gebucht.
    —    Bist du meine Val, oder bist du es nicht?
    —    Nein, jetzt mal ehrlich, Asta, warum?
    Er räusperte sich und schaute aufs Meer hinaus. Wir hatten es uns in einer windgeschützten Düne bequem gemacht. Im Rucksack lagen Brote, Kuchen und eine Thermoskanne mit Eistee.
    -Wir haben dich hängen lassen, sagte Asta nach einer langen Pause, Das war nicht fair. Hätten wir dich nicht hängen lassen, wäre das nie passiert.
    Ich glaubte das nicht. Ich war mir sicher, daß die Psychose schon lange auf mich gewartet hatte. Nur waren die Umstände bisher nicht so passend gewesen - wenig Schlaf, viel Drogen. Ich bin an meine Grenzen gestoßen, und mein Kopf hatte reagiert. So sah ich das.
    —    Ich mag dich, sprach Asta weiter, Und ich will nicht sehen, wie du den Bach runtergehst oder für immer in irgendeiner Klapse landest und dort die Wände mit Scheiße vollschmierst, verstehst du?
    Ich verstand, obwohl ich die Geschichte seines Bruders an jenem Tag noch nicht kannte. Jeder hat seine eigenen Motive, die ihn dazu bringen, zu anderen Menschen gut zu sein. Ich erfuhr von Astas Motiv zwei Monate später von Jenni.
    Sein Bruder war vor einigen Jahren so bekifft gewesen, daß er sich nachts auf den Flughafen schlich, um mit einem Flieger abzuheben. Er klammerte sich an das Fahrgestell und stieg mit dem Flugzeug auf. Irgendwann verließ ihn die Kraft, oder das Fahrgestell wurde eingeklappt. Man sagte, er wäre tot gewesen, lange bevor er auf den Boden traf. Aber das sagt man ja immer.
    Hätte ich am Meer schon von der Geschichte gewußt, ich glaube, ich hätte nicht so positiv auf Astas Mitleid reagiert.

    Am Ende des Urlaubs sprachen wir fast ausschließlich über meine Psychose. Ich versuchte Asta zu erklären, daß ich mich ab und zu nach diesem Zustand der Langsamkeit und ganz

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