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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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langgezogenes Heulen kam aus seinem
    Maul, Knochen brachen, eine Pfote scharrte über den Bordstein. Es war eine Kakophonie, die mit ihren langsamen Klängen etwas Beruhigendes hatte.
    Keine Spur von Hektik, eine befriedigende Gleichmäßigkeit. Der Laster kam zitternd zum Stehen, die Joggerin unterbrach ihren Lauf. Sie drehte sich um, die rosa Kopfhörer rutschten ihr vom Kopf und baumelten über ihrer Brust. Sie bewegte sich zwischen den parkenden Autos. Ihr Mund war ein O, ihr Schrei klang wie von einer silbernen Flöte. Es dauerte und dauerte, und ich sah nur zu. Neben mir blinzelte Mirko nervös. Es erinnerte an den Flügelschlag eines Schmetterlings.
    Ich wußte, ich hatte genug gesehen und setzte mich in Bewegung, schneller als alle anderen. Nichts konnte mich aufhalten. Ich glitt unter den Laster und umarmte den Hund. Noch lebte er, seine Hinterbeine zuckten, sein Atem schlug mir heiß ins Gesicht. Ich beobachtete seine Augen, wie sie mich beobachteten. Der Hund begriff, was hier eben geschehen war. Und er wußte, es war gut so. Aus seinem Blick las ich, daß er mehr begriff, als ich je begreifen würde. Dann wurden seine Augen starr und überzogen sich mit einem milchigen Film. Es war vorbei.
    - Gut, sagte ich in sein Ohr hinein und streichelte ihm den Kopf, Das war gut so.
    Da begannen sie, mich unter dem Laster hervorzuziehen. Etwas riß. Etwas wurde gekappt. Die Langsamkeit war aufgehoben, die Zeit schnappte wie ein Gummiband zurück. Aber es war geschehen, die Welt hatte sich mir geöffnet. Ich schloß zufrieden die Augen und genoß den lebendigen Rhythmus, der mich umgab.

    Ich öffnete meine Augen erst wieder, als jemand leise »Fenster« sagte. Ich saß auf einem Stuhl mit Blick nach draußen. Es war anders als in Hamburg. Diese Anstalt befand sich an einem See, und meine Eltern sagten am gleichen Tag in einem Abstand von zehn Minuten, sie wüßten nicht, was sie falsch gemacht hätten. Dabei konnten sie mich nicht anse-hen, dabei konnte ich sie nicht ansehen.

3

    Die Ärzte sprachen viel mit mir, und keiner sagte ein Wort von Schizophrenie. Niemand behauptete, ich wäre depressiv. Sie redeten mit vielen Fremdwörtern von einem chemikalischen Ungleichgewicht in meinem Nervensystem und nannten es schließlich beim Namen.
    Mein neuer Arzt zeigte sich zuversichtlich.
    - Es ist eine psychotische Episode, sagte er, Das ist überhaupt kein Problem. Mit ein paar Medikamenten kriegen wir das auf die Reihe. Also machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind jung, Sie sind stark und Sie müssen die Medikamente ja auch nicht ewig nehmen. Wir reduzieren die Dosierung über die Jahre hinweg, bis sich das Gleichgewicht eingepen-delt hat. Sagen wir drei Jahre? Na, das klingt doch gar nicht so schlimm, oder? Eines Tages ist alles wieder in Ordnung. Sie müssen nur auf Ihren Lebensstil achten und sich von Drogen fernhalten. Bis dahin...
    Sie behielten mich zwei Monate in der Geschlossenen. Nicht, weil sie dachten, daß ich da hingehöre, sondern um mich zu beobachten. Das war zumindest meine Theorie. Später erfuhr ich, daß es der Wunsch meines Vaters gewesen war. Er zahlte, damit sie mich eingesperrt hielten. Es war seine besondere Art, Sorge auszudrücken. Ich erfuhr es vom
    Leiter der Anstalt an dem Tag, an dem er mich verabschiedete:
    —    Ihr Vater hat das Richtige getan, seien Sie ihm dankbar.
    Meine Dankbarkeit sah so aus, daß ich kein Wort mehr
    mit ihm sprach. Ich blockte jeden seiner Versöhnungsversuche ab und wandte mich an meine Mutter. Es war das erste Mal, daß ich zu ihr ging und um Hilfe bat. Meine Mutter reagierte unerwartet. Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und verschwand auf der Toilette. Kurz darauf hörte ich sie würgen, dann rief sie nach meinem Vater. Er kam, und die beiden sprachen hinter der verschlossenen Badezimmertür miteinander. Mein Vater verließ das Bad und sagte:
    —    Mutter geht es nicht so gut.
    Ich sah ihn nur an.
    —    Es ist besser, wenn du für eine Weile woanders wohnst.
    Ich sah ihn nur an. In mir war so viel Haß auf ihn, daß mir
    nichts anderes einfiel, als ihn anzusehen. Vielleicht würde er in Flammen aufgehen oder einfach explodieren, wenn ich ihn lange genug anstarrte. Es kam schlimmer, er sprach weiter.
    —    Das... das ist Mutters Entscheidung, stammelte er, Sie kommt mit all diesen... du weißt schon, was ich meine, nicht klar. Valerie, bitte, versteh sie. Wenn sich dein Leben ein wenig beruhigt hat und du denkst, du könntest dich wieder

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