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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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hake ich nach.
    Val starrt erneut aus dem Fenster und kaut am nächsten Fingernagel.
    —    Du hättest mich nicht anlügen sollen, sage ich leise und habe keine Ahnung, was ich als Nächstes tun soll. Es ist früher Morgen in Berlin, und die vergangene Nacht kommt mir vor wie ein gefährliches Tier, das immer näher schleicht. Ich dachte, wir könnten sie hinter uns lassen. Ich weiß jetzt, daß ich einen Fehler gemacht habe. Ich habe absolut falsch reagiert. Ich hätte einfach allein verschwinden sollen. Bestimmte Fehler macht man im Leben nur einmal, dachte ich immer. Ich habe dazugelernt. Man macht sie andauernd, und sich im nachhinein darüber aufzuregen, ist absolut kindisch.
    Ich wollte Val überraschen. Wir waren zwar am späten Abend verabredet, da ich aber in der Nähe ihrer Wohnung einen Termin hatte, wollte ich kurz vorbeischauen. Val hatte Besuch von einer alten Freundin aus Oldenburg, und ich war neugierig, jemanden aus ihrer Vergangenheit kennenzulernen. Ich besorgte uns belegte Bagels und Brownies.
    Die Tüte in der einen Hand, schloß ich mit der anderen die Wohnungstür auf und wurde von der Kette gebremst.
    -Was tust du denn hier?
    Vals Gesicht war imTürspalt aufgetaucht. Sie wirkte nicht erschrocken, sie wirkte gehetzt.
    —    Ich ... ich war in der Gegend. Ich dachte, ich schau mal vorbei, bevor ihr ins Kino geht, stammelte ich. Es brachte mich durcheinander, daß sie die Kette vorgelegt hatte. Ich fühlte mich, als hätte ich versucht, in ihre Wohnung zu schleichen.
    —Theater, sagte sie.
    -Was?
    —Wir gehen ins Theater.
    -Oh.
    Pause. Da standen wir. Ich mit meiner Papiertüte, sie mit ihren gehetzten Augen. Es war der richtige Moment, um sie zu fragen, weshalb sie die Kette vorgelegt hatte. Bevor ich etwas sagen konnte, drückte Val die Tür zu. Ich wartete. Nach einer Weile klimperte die Kette, und dieTür öffnete sich.
    Val hängte sich an mich, ihr ganzes Gewicht lastete für Sekunden an meinem Hals. Ich war mir sicher, daß sie zu viele von ihren Pillen genommen hatte. Sie löste sich von mir und ging durch den Flur in ihre Wohnung. Ich folgte verwirrt und sagte:
    -    Ich habe Bagels mitgebracht, ich dachte, ihr habt vielleicht noch nicht...
    Über einem der Stühle hing ein Mantel. Auf dem Tisch lagen Zeitschriften, eine Zigarettenschachtel und ein Aschenbecher. Wir waren alleine im Wohnzimmer. Val lehnte sich gegen den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
    -    Stör ich?
    Sie hob die Schultern und wich meinem Blick aus. Ihr Haar war durcheinander, das Kinn zitterte. Sie wirkte wie jemand, der den Zug verpaßt hatte, nachdem er den Bus verpaßt hatte, nachdem ihm das Auto unter dem Hintern weggestohlen worden war.
    -Was ist hier los, Val? fragte ich.
    Keine Reaktion. Ich folgte ihrem Blick. Val sah die Badezimmertür an und machte keinen Versuch, mich aufzuhalten. Die Tür war nur angelehnt. Ich drückte sie auf, starrte einen langen Moment in die Dunkelheit, ohne etwas zu erkennen. Ich hasse es, einen dunklen Raum zu betreten. Zögernd legte ich den Lichtschalter um.
    Die Frau war in die Nische zwischen Toilette und Badewanne gepreßt. Sie wirkte klein und kompakt. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, es war zwischen den Knien vergraben. Ich sah nur ihre Hände, die schützend über dem Kopf lagen. An der einen Hand fehlten zwei Finger. Ihr nackter Körper war blutverschmiert und das blonde Haar schimmerte an einigen Stellen feucht. Mehrere Blutfaden vereinigten sich unter der Toilette zu einer dunklen Pfütze.
    —    Ist... ist sie tot? fragte Val leise hinter mir.
    Ich löschte das Licht wieder und zog die Tür zu.
    Val hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Nur ihre Arme waren nicht mehr vor der Brust verschränkt. Sie hatte sie um sich gelegt, als würde sie frieren.
    Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Tür und rutschte an ihr herunter, bis ich in der Hocke war. Wir sahen uns an, Val wich meinem Blick aus, und ich sagte:
    —Val, was ist passiert?
VAL
1
    Es begann mit einer Mischung aus Streß, wenig Schlaf und einer Menge Dope. Miguel brachte das Dope in Platten gepreßt aus Tunesien mit. Er überquerte die Grenze mit einer LP-Kollektion im Gepäck und wies sich als DJ aus. Bei der Ausreise waren anstatt Vinyl feine Platten aus Dope in den Hüllen. Das Zeug war so weich, daß wir es zu kleinen Tieren kneteten und diese über Tisch und Sofa laufen ließen. Wir buken Kekse, wir rösteten es in Butter und Kakao und gossen Milch darüber - das

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