Du Durchschaust Mich Nicht
wann ich denn mit dem Zaubern angefangen habe und wie ich auf die verrückte Idee kam, damit auch noch mein Geld verdienen zu wollen, beginne ich jetzt noch mal von vorn.
Ich wurde im Bergischen Land geboren. Meine Mutter, eine Deutsche, und mein Vater, ein Perser, der als junger Architekturstudent nach Deutschland gekommen war und hier eine neue Heimat fand, schenkten mir und meiner zwei Jahre älteren Schwester ein geborgenes Zuhause. Wir Kinder lernten beide Kulturen unserer Eltern kennen; und es ist für uns selbstverständlich, offen auf Menschen zuzugehen, gleichgültig woher sie stammen oder welcher Religion sie angehören. Unser Zuhause war europäisch
und
persisch eingerichtet; es gab deutschen Eintopf wie bei Großmuttern ebenso wie die typischen persischen Gerichte mit Gemüse- und Fleischsoßen,
Khorescht,
meist traditionell mit Reis und Safran zubereitet, den uns die Großeltern väterlicherseits allerdings direkt vom Kaspischen Meer zukommen ließen.
Als der Bruder meines Vaters ihn bat, ihn bei einem Bauprojekt in Teheran zu unterstützen, überlegten meine Eltern nicht lange. Mein Vater nahm mich – denn ich war im Gegensatz zu meiner Schwester noch nicht schulpflichtig – zu der langen Reise in seine Heimat mit, und meine Mutter kam uns so oft wie möglich besuchen.
Obwohl mir bereits als Fünfjähriger die persische Kultur teilweise vertraut war, verspürte ich den großen Unterschied zwischen dem beschaulichen Leben in unserem ländlichen Haus bei Gummersbach und dem großen Teheraner Stadthaus, in dem mehrere Angestellte für Wohl und Ordnung sorgten. Der Umgang der Familienmitglieder untereinander war anders, als ich es von zu Hause kannte. Mein Vater siezte seine Eltern, wie es dort auch heute noch im Umgang mit älteren Generationen üblich ist, und es wurde großer Wert auf Respekt und Benimm gelegt. So kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich mit den persischen Großeltern ähnlich intensiv gekuschelt habe, wie ich es mit Oma und Opa in Deutschland tat.
Womöglich lag es auch an dieser Distanz, dass mir mein persischer Großvater so eindrucksvoll in Erinnerung ist. Er war, wie beinahe alle Männer in Vaters Familie, von einer stattlichen Größe, doch anders als mein Vater machte er die meiste Zeit ein ernstes Gesicht. Ich weiß noch, dass ich ihn oft heimlich beobachtet habe, wenn wir zusammen im Hof saßen und sich die Männer unterhielten. Nur selten rief er mich zu sich, um mir etwas zu sagen oder zu geben. Meist haben wir uns dann mehr mit Händen und Füßen verständigt, weil ich nur wenige Brocken Persisch verstand.
Doch eines Nachmittags hörte ich ihn meinen Namen rufen. Neugierig lief ich in den Wohnsalon, wo er mich in der großzügig angelegten Sitzecke aus handgeknüpften Perserteppichen erwartete. Hier saß ich besonders gern, denn man hatte den besten Blick auf den leise plätschernden Teich – Teich? Richtig gelesen, es gab einen Teich mitten im Wohnzimmer, allerdings ohne Fische. An diesem Nachmittag kam ich gar nicht dazu, die üppige Pflanzenwelt unter Wasser zu bestaunen, denn bereits beim Näherkommen zwinkerte mir Großvater verschwörerisch zu, wie er es noch nie getan hatte. Sofort klopfte mein Herz vor Aufregung. Ich wusste zwar nicht, was passieren würde, spürte aber augenblicklich, dass er etwas Besonderes im Schilde führte.
Großvaters dunkle Augen funkelten geheimnisvoll, als sich seine rechte Hand meinem Gesicht näherte. Nur einen Wimpernschlag später zog er eine persische Münze hinter meinem linken Ohr hervor. Aber das konnte doch gar nicht sein! Ich betastete die Stelle. Dann überlegte ich, dass er die Münze sicher schon in seiner Hand gehalten hatte, bevor er an mein Ohr gegriffen hatte. Was ich damals noch nicht verstand: Das Wichtige an diesem Moment war, dass mich Großvater mit seinem Einstiegstrick vollkommen in den Bann gezogen hatte; ich ließ ihn und die Münze nicht mehr aus den Augen. Und das ist die beste Voraussetzung für das Gelingen eines Zauberkunststücks, wie ich heute weiß.
Großvater sagte nun etwas auf Persisch und wies dabei mit dem Kopf auf den Platz neben sich. Und was dann geschah, hielt ich für echte Magie: Er ließ die Münze verschwinden.
Zuerst lag sie noch auf seiner rechten Handfläche. Er drückte mit der Mittelfingerspitze der linken Hand gegen die Münze und schloss seine rechte Hand, aber nur so weit, dass ich die Münze unter dem Finger noch sehen konnte. Dann drehte er seine Hand um, und die
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