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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Jugend verlebt hat , widmet Storm auch ein frühes Gedicht (ca. 1840), das mit diesen zwei Versen beginnt: Die Heimat hier, und hier Dein erster Traum, / Das Mühlrad rauscht, es stäubt der Silberschaum.
    Abends saß der junge Storm mit seinem Onkel vor dem Haus unter Lindenbäumen und flocht Dohnen (Vogelschlingen) aus Weidenzweigen. Aber Obstgarten, Stallungen, Mühle und Brücke, alles – wenn mich meine Erinnerung nicht trügt – lag unter den Wipfeln ungeheurer Eichbäume, wie ich sie nie zuvor zu Haus gesehen hatte. Das klingt nach Märchenwald, nach deutscher Romantik und nach Eichendorff, den Storm bewunderte und verehrte, dessen Poesie Storm mitten ins Herz traf und der neben Heine schon in meiner Jugend den größten Einfluss auf mich gehabt hat .

Die Hohle Gasse 3
    Nach dem Tod des Großvaters mütterlicherseits, Simon Woldsens, (9. Oktober 1820) zog das Ehepaar Storm im Sommer 1821 mit Sohn Theodor und der inzwischen geborenen Tochter Helene (14. Januar 1820 bis 10. November 1846) in das großelterliche Haus Hohle Gasse 3. Das zweistöckige Gebäude ist bis heute erhalten, und wenn man davor steht und es vergleicht mit einem farbigen Bild auf einer alten Porzellanmalerei, dann fehlt heute nur der in Richtung Hafen unpassend angefügte südliche Seitenflügel, der unter das Dach des Hauses kam und damit die Architektur ins Schiefe und Unförmige rückte. Hier war die Toreinfahrt, und hinter den zwei Fenstern rechts daneben richtete sich Johann Casimir die Anwaltskanzlei ein, seine alte dunkle Advokatenhöhle , so schreibt Storm in einem Brief an Emil Kuh. Das große, verräucherte Gemach, in dem der harte Schlag der Wanduhr pickt , so steht es in der Novelle »Unterm Tannenbaum«. Dort saß Vater Storm den ganzen langen Arbeitstag im langen Gehrock bis abends um neun Uhr, eine goldene Schnupftabaksdose in ständiger Bereitschaft, und der Schreiber und Sekretär Clausen saß im Zimmer nebenan in Clausens Comptoir . »De ole Storm«, wie Storms Vater bald respektvoll in Husum genannt wurde, hat sich sein Leben lang weder malen noch photographieren lassen. Erzählt wird von seinem dunklen, vollen, braunen Haar, von seinen grauen Augen und von seinem kleinen, schwächlichen Körper. Er war ein Rosenliebhaber und Vogelfreund; in den Arbeitspausen, die er sich leistete, ging er hinaus in den Garten, der hinter dem Haus lag. Da begutachtete er die Rosen und sah nach Tauben und Taubenhaus und nach Spreen (Staren) und Spreenkästen.
    Er ist ein Mann ohne alle Selbstsucht, als Advocat – er war namentlich in Administrativsachen von Bedeutung – von einer keuschen Ehrenhaftigkeit; kein gelehrter Jurist, aber berühmt wegen seiner klaren Auffassung der Sachlage , schreibt Storm über seinen Vater. Johann Casimir arbeitete in seinem Advokaten-Beruf lebenslang hart und fleißig, nahm seine Berufs- und Familienpflichten ernst und erwirtschaftete sich und den Seinen ein beträchtliches Vermögen. In Husum lebte ich gleichsam in einer Atmosphäre ehrenhafter Familientradition , schreibt Storm aus dem Potsdamer Exil.
    Seinen Theodor und Familie hat Vater Johann Casimir, insbesondere in den entbehrungsreichen Jahren der Emigration, immer wieder unterstützt und beschenkt. Ähnlich wie die Woldsen-Vorfahren seiner Frau Lucie fühlte auch er sich dem öffentlichen Wohl verpflichtet. Im Frühjahr 1836 wurde er bei der erstmals im Herzogtum Schleswig stattfindenden Wahl zur Ständevertretung als Husumer Abgeordneter gewählt. In diesem neuen Parlament war er einer von zwei Sekretären der Ständeversammlung in Schleswig und gehörte somit zum Präsidium.
    Diese erste und auch die folgenden Wahlen hatten noch wenig mit Demokratie zu tun. Sie waren weder geheim noch schriftlich, sondern öffentlich und mündlich. Gewählt wurde per Zuruf. Das Wahlrecht blieb auf Männer und auf große Steuerzahler beschränkt. Als gut verdienender Advokat und »Koogschreiber«, der für die Vermittlung und Ausarbeitung von Pachtverträgen einträgliche Honorare kassierte, gehörte Vater Storm zu
den größten Steuerzahlern der Stadt. Johann Casimir wurde 1840 zum
»Ritter vom Danebrog« durch den dänischen König berufen, und darauf war er stolz.
    In die Geschichte Nordfrieslands ging Storms Vater ein, weil er sich 1842 in der Ständeversammlung weigerte, die erste in dänischer Sprache gehaltene Rede zu protokollieren. Diesen Traditionsbruch wollte und konnte er nicht akzeptieren, und er zeigte Zivilcourage. Das kam schon immer gut an. Er

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