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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luis Algorri
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Steinmauer und sahen auf den Fluss. Zu unserer Rechten, weit entfernt, hinter den noch unsichtbaren Bergen, begann sich ein scheues blaues Licht abzuzeichnen. Ich rauchte mit tiefen Zü gen. Die Glut erhellte kurz das Gesicht des Jungen und ich konnte sehen, dass es ernst war.
    »Mann ey, du bist ja echt hoffungslos in José verliebt!«
    »In wen?«
    Er zog an der Zigarette und sah mich wieder an.
    »Keine Ahnung. Du hast mich gefickt und hast dabei die ganze Zeit immer nur ›José, José‹ geröhrt.«
    »Ich? Ich hab doch gar nichts gesagt!«
    Er schwieg und schaute auf den Fluss. Auf der anderen Seite stieg eine Frau raschen Schrittes die Treppe zur Brücke hoch.
    »Es ist echt Scheiße, wenn man so krass durchgefickt wird, wie von dir und der Typ dann dabei an einen anderen denkt, ey.«
    »Es tut mir Leid. Entschuldige.«
    »Nein, ich wusste es ja schon. Man merkt dir das voll an, dass du total verliebt bist. Ist mir echt egal, ehrlich.«
    Die Frau war auf dem höchsten Punkt der Fußgängerbrücke angekommen und begann rasch auf unser Ufer zuzukommen.
    Mir kam es so vor, als beobachtete sie uns. Ich sah auf die Uhr.
    »Es wird gleich Tag. Wir sollten gehen, oder?«
    »Ah, ja, o.k.«, ich vernahm plötzlich etwas Raues in seiner Stimme. »Biste also zufrieden, oder wie?«
    »Ja, absolut zufrieden, klar.«
    »Toll. Kann ich dich dann um einen Gefallen bitten?«
    Ich lächelte ihm zu. Ich sah, dass er ernst blieb. Ein plötzlicher morgendlicher Windstoß ließ mich frösteln.
    »Na gut«, sagte ich, »um ehrlich zu sein, ich habe wirklich Geld dabei. Dreitausend Peseten. Reicht das?«
    Er streckte die Hand aus, ohne den Blick von mir zu wenden. Es war ein Blick so voller Verachtung, den ich nicht verstand.
    »Das reicht«, er nahm das Geld ohne hinzusehen, knitterte es zusammen und steckte es mechanisch in die Tasche seiner Jeansjacke, »aber das war es nicht, worum ich dich bitten wollte, Mann.«
    »Sondern?«
    Ich wurde unruhig. Die Frau von der Brücke war bereits verschwunden. Wir waren allein.
    »Nichts. Lass stecken, Alter.«
    »Nein, nun sag schon.«
    »Ist doch egal, Mann«, murmelte er, nun meiner ungeduldigen Geste ausweichend, »du hast bekommen, was du wolltest und ich auch. Wir sehen uns sowieso wieder.«
    Er drehte sich um. Ich packte ihn am Arm.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Ich? Nichts.«
    »Wie, nichts?«
    »Nichts«, sagte er leise und hasserfüllt, »lass meinen Arm los, ja?«
    Ich ließ meine Hand fallen. Unsere Blicke kreuzten sich, scharf wie Messer.
    »Ich wollte dich nur bitten, dass du mir einen Kuss gibst, wie du ihn mir vorhin gegeben hast, Mann. Ey, du küsst einfach so schweinegut. Aber ich merk schon, du bist genau so'n Arschloch wie alle anderen auch. Ich verpiss mich. Tschau.«
    Er drehte sich auf der Stelle um und ging Richtung Brücke.
    Ich brauchte einen Moment, bis ich reagieren konnte.
    »Hey. Warte!«
    Er blieb stehen, drehte sich um und schaute gleichgültig zu mir herüber. Ich ging zu ihm. Er wollte sich wegdrehen, aber bevor er dazu Zeit hatte, nahm ich sein Gesicht in meine Hände. Im Morgenlicht erschienen mir sein schlanker, beweglicher Körper, sein wirres Haar, sein verbittertes Gesicht und seine müden Augen plötzlich sehr schön. Ich lächelte ihn an.
    »Aber das macht man anders, Junge.«
    »Was?«
    »Du küsst, als würdest du eine Abflussverstopfung beseitigen wollen. Schau mal...«
    Ohne sein Gesicht loszulassen, strich ich mit meinen Lippen ganz leicht über seine Lippen: eine leichte, trockene Berührung, zaghaft, unsicher, legte sich kaum spürbar auf seine überraschten Lippen, wie ein Schmetterling aus Seidenpapier, der sich auf einem anderen niederlässt. Er wollte den Mund öffnen, aber ich ließ ihn nicht. Es war meine Zunge, die über seine Haut wanderte, sich den Weg bahnte, einen Moment lang mit seinen Zähnen spielte und sich dann langsam, ganz langsam auf den Weg machte ins Innere dieses bereits vertrauten Geschmackes, dieses Ortes, der vorhin mit Gewalt überfallen und nun voller Zärtlichkeit besucht wurde. Seine Zunge traf meine Zunge wie aus Zufall und beide berührten sich, erkannten sich, tauschten Geheimnisse und Gemeinsamkeiten, Streicheleinheiten, Vertraulichkeiten und Kinderspiele miteinander aus; alles so lieblich und so zärtlich und plötzlich merkte ich, dass ich sein Gesicht streichelte, das jetzt sehr wohl sein Gesicht und nicht das eines anderen war. Meine Finger berührten kaum sein zitterndes kleines Ohr, das Haar, das ihm

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