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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luis Algorri
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in die Stirn fiel, der zarte Rücken, der sich unter der Gänsehaut sträubte. Ich küsste ihn auf die Wange.
    »Besser so, oder?«
    Er schaute mich weiter an und lächelte wieder.
    »Ja. Das glaube ich auch. Meine Fresse, du kannst küssen, Javi.»
    Wir blieben beide bewegungslos umarmt, inmitten des Parks im frühen Morgenlicht.
    »Woher kennst du meinen Namen?«
    »Na, weil du ihn mir gesagt hast, Mann.«
    »Ich hab ihn dir nicht gesagt.«
    »Also erfunden hab ich ihn nicht...«, er lachte.
    Wir trennten uns. Er zwinkerte mir zu und trabte los in Richtung Brücke, während er noch seine Jacke zumachte. Ich ging Richtung Avenida, das gelbe Licht der Laternen wirkte fehl am Platz in der Klarheit des Tages. Plötzlich hörte ich seine Stimme.
    »Javi!«
    Ich drehte mich um.
    »Du hast deine Kippen vergessen!«
    Er warf die Schachtel durch die Luft. Sie landete einige Meter von mir entfernt im Schatten. Ich bückte mich und als ich mich wieder aufrichtete, war der Junge bereits verschwunden. Er hat mir nicht einmal seinen Namen gesagt, lächelte ich, oder er hat ihn mir gesagt und ich erinnere mich nicht mehr daran.
    Ich überquerte die Avenida, den Rasen vor unserem Haus und kam vor unserer Tür an. Ich traf auf den Hauswart, der gerade die Marmorstufen fegte. Ich grüßte, nahm meine Tasche aus dem Versteck und stieg gähnend in den Fahrstuhl.
    Ich öffnete die Wohnungstür mit größter Vorsicht, denn meine Eltern schliefen noch. Auf Zehenspitzen ging ich ins Bad und nahm eine schnelle Dusche. Einen Moment danach, schon in meinem Zimmer, als ich die letzte Zigarette vor dem  Schlafengehen suchte, blieb ich kurz verwundert stehen. In beiden Hosentaschen waren je ein Paket Zigaretten.

    Ich stand auf dem Gehsteig gegenüber der Schule, rauchte eine Zigarette nach der anderen, setzte mich auf die Stufen der Freitreppe, stand wieder auf, schaute auf die Uhr, jede Minute, zählte die vorbeifahrenden Autos, die Laternen, die vorbeigehenden Mädchen, die in rot gekleidet waren, berechnete die Dauer jeder Ampelphase und rauchte wieder. Es war der Morgen seiner letzten Prüfung. Als ich ihn inmitten der Gruppe erkannte, die sich im Mittelgang des Hofes auf den Ausgang zu bewegte, war ich kurz davor, vor Spannung zu platzen. José sah mich von weitem und winkte mir zu, so wie er es immer tat, ohne dabei aufzuhören, mit seinen Freunden zu reden. Unter dem Arm trug er seine schwarze Mappe und sein Wörterbuch. Ich sah, dass er lächelte. Gutes Zeichen, dachte ich, obwohl man bei ihm nie weiß. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, aber ich machte ein Pokerface und setzte mich ruhig auf das Mäuerchen neben der Treppe. Am Eingangstor verabschiedete er sich von den anderen, schaute nach rechts und linke und rannte quer über die Straße zu mir.
    Er begrüßte mich mit einem leichten Klaps auf die Schulter.
    »Wie geht's? Wartest du schon lange?«
    »Nein, ich bin gerade gekommen.«
    »Hehe... Lügner!«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Weil die bestimmt alle du geraucht hast.«
    Der Boden war mit Zigarettenstummeln übersäht.
    »Na ja, vielleicht sitze ich hier doch schon einen Moment lang...«
    José ließ sich neben mir nieder und nahm die angezündete Zigarette, die ich ihm hinhielt. Auch er war sehr um ein Pokerface bemüht, dieses Früchtchen.
    »So. Nun mal raus mit der Sprache...!«
    »Was?«
    Ich schnaubte hörbar die Luft aus.
    »José, ich werde dich gleich ungespitzt in den Boden sto ßen, und das Pflaster hier ist echt hart...«
    Er lachte hämisch.
    »O.k., o.k., o.k.! Möchtest du zuerst die schlechten Neuigkeiten oder die ganz schlimmen?«
    Mein Herz setzte einen Schlag aus. »Die schlechten zuerst.
    Wenn ich dich umbringen muss, möchte ich wenigstens ein gutes Motiv haben, damit der Richter Gnade walten lässt.«
    »Gut, also zuerst die schlechten. Es wurden zwei weitere Noten bekannt gegeben, willst du sie sehen?«
    »Nein, sag du sie mir.«
    »Warte mal, ich erinnere mich nicht mehr...«
    Ich überlegte einen Moment lang, ob es besser wäre, ihn zu erwürgen oder einfach seinen Schädel hier auf dem Treppchen zu zertrümmern.
    »In Physik, bestanden.«
    »Gut«, ich unterdrückte einen Schrei, konnte aber nicht das Zittern meiner Hand verbergen, mit der ich die Zigarette hielt, »das sind dann schon drei von fünf.«
    »Aber in Literatur...«
    »José, mach keine Witze», ich sprang mit einem Satz auf,
    »die können dich in Literatur nicht durchfallen lassen, den Calderón hattest du doch besser drauf als er

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