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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luis Algorri
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Schlafen?«
    »Klar. Einen Schlafanzug oder einen Jogginganzug oder so was?«
    »Also ich dachte doch, es wäre warm...«
    »Tja, kannste mal sehen«, ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Die Picos sind einfach unberechenbar... Aber ist ja jetzt egal. Du nimmst eben meinen. Los, zieh die Stiefel aus.«
    Ich holte die Schlafsäcke aus den Rucksäcken. Der Schlafsack von José war alt und viel zu dünn. Darin würde er sich eine Lungenentzündung holen.
    »Weißt du, was wir machen?«, sagte ich. »Wir breiten deinen Schlafsack als Unterlage aus und decken uns mit meinem zu. Der ist wie eine Heizdecke. Da muss keiner von uns frieren. Ist das für dich o.k.?«
    »Na klar. Super.«
    Während ich aus meinem Rucksack meinen grauen Trainingsanzug herauskramte, hatte sich José endlich die Stiefel ausgezogen. Danach zog er sich – ohne es aufzuknöpfen –
    das Flanellhemd über den Kopf. Er hatte Gänsehaut. Als er sich die Jeans herunterzog, spürte ich einen heftigen Schauder. Da war sie: wie immer zu groß, mit den wie immer nicht zugebundenen weißen Bändeln: seine blaue Badehose.
    »Gibst du mir den Trainingsanzug?«
    »Ja, klar. Entschuldige. Komm, los, zieh dich an. Zieh diese Socken an. Die sind dick und trocken. Mensch, wenn du wüsstest, wie du aussiehst...«
    »Ich?«
    »Na der Trainingsanzug ist dir viel zu groß, José. Du siehst fast aus wie Pedro mit seinem Riesenregenschirm...«
    Er schlüpfte unter meinen Schlafsack und sah mich mit einem müden Lächeln an. Dann ließ er langsam seinen Kopf nach hinten auf die Zelttasche sinken, die ich uns als Kissen hingelegt hatte. Er schloss die Augen. Ich zog mich ebenfalls aus und breitete unsere nassen Kleidungsstücke zum Trocknen auf unseren Rucksäcken aus.
    »Bleibst du so, nur in Unterhosen?«
    »Nein«, sagte ich. Ich hatte angenommen, er würde bereits schlafen. »Ich hab noch ein T-Shirt an.«
    »Frierst du denn nicht?«
    »Mach dir keine Gedanken. Ich hab dir doch gesagt, mein Schlafsack ist warm wie eine Heizdecke. Im Gegenteil, du wirst derjenige sein, der in zwei Stunden richtig zu schwitzen anfängt.«
    Ich zog das T-Shirt über und legte mich neben ihn. Ich schaute ihn mir in aller Seelenruhe an. Sein Gesicht war schwach von der Gaslaterne erleuchtet. Er lag auf dem Rücken, die Daunendecke bis zum Kinn gezogen, mit geschlossenen Augen, mittlerweile ruhig atmend. José wirkte in diesem Moment so zart wie noch nie. Schau ihn an; genieße es, ihn dir einfach nur anzuschauen, sagte ich mir, zerstöre jetzt nicht den Zauber dieses Augenblickes. Plötzlich war ich fest davon überzeugt, dass sich mir dieser Augenblick, genau dieses Bild Josés, wie er mit geschlossenen Augen, mit seinem müden und so süßen Gesicht, neben mir liegt, in meine Seele einbrannte und mir für immer und ewig im Gedächtnis bleiben würde. Wenn ich mich viele Jahre später an ihn erinnern würde, so würde allein der Gedanke an seinen Namen mir sofort dieses Bild in Erinnerung rufen, wie José jetzt gerade, ruhig atmend neben mir lag, fiebrig und schwitzend, während ich nur das Klopfen des Regens auf dem Schieferdach über uns hörte.
    »Machst du nicht das Licht aus?«, fragte er mit geschlossenen Augen.
    »Aber wenn ich das Licht ausmache, kann ich dich nicht mehr sehen.«
    »Und warum willst du mich sehen?«, lächelte er. »Ich muss doch so scheiße aussehen...«
    »Das stimmt«, witzelte ich, »du siehst echt fies aus. Mir wird fast schlecht... Du siehst aus, als hätten sie dich gerade als Wasserleiche aus der Beresina gezogen.«
    Er lachte kraftlos. Er zog eine Hand unter der Decke hervor und fuhr sich über die Stirn, um sich den Schweiß abzuwischen.
    »Hab ich noch Fieber?«
    »Das nehme ich doch an«, sagte ich, ohne mich zu bewegen. Mein Herz schlug schneller.
    »Fühl doch mal.«
    Ich beugte mich über ihn und küsste ihn lange auf die Stirn.
    Einmal, zweimal, dreimal, ganz langsam, mit aller Zärtlichkeit, zu der ich fähig war. Meine Lippen spürten die unruhige Hitze seiner Haut; meine Hände streichelten, fast ohne ihn dabei zu berühren, sein feuchtes Haar. Ich versuchte durch die Berührung meiner unsicheren Lippen, ihm die Liebe zu vermitteln, die mich innerlich verzehrte.
    »Ein bisschen Fieber hast du schon«, sagte ich, »Achtunddreißig, oder so.«
    José öffnete die Augen und lächelte mich an.
    »Weißt du«, sagte er, »so hat mich immer meine Mutter geküsst, als ich noch klein war.«
    »Oh, ach so«, ich errötete, »und... was machte sie

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