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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luis Algorri
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danach?«
    »Sie blieb bei mir, bis ich eingeschlafen war.«
    Zwing ihn nicht, hörte ich meine eigene Stimme in meinem Kopf widerhallen, lass ihn anfangen, lass ihn selber wollen.
    Doch mein Herz lockerte die Zügel.
    »Und wie hast du deine Mutter geküsst?«
    Die Hand, die sich zuvor den Schweiß von der Stirn gewischt hatte, legte sich auf meinen Kopf und zog meine Wange an seine Lippen. José, ein wenig seinen Kopf hebend, gab mir einen kleinen, flüchtigen, unschuldigen Kuss, voller Müdigkeit. Dann ließ er seinen Kopf zurück auf die Zelttasche sinken.
    »Aber klar«, lächelte er, »du bist natürlich nicht meine Mutter.«
    »Nein, natürlich nicht.«
    Er drehte sich umständlich zur Seite, blieb dann still an mich gekuschelt, eingemummelt unter der Decke liegen, wandte mir seinen Rücken zu und atmete vor Müdigkeit schwer.
    »Aber ich bleibe trotzdem bei dir, bis du schläfst.«
    Es kam keine Antwort.
    »Gute Nacht, mein Kleiner.«
    Ich hörte einen matten Seufzer, aus dem ich mir einbildete, ein genuscheltes Bis Morgen herauszuhören. Ich löschte das Licht und legte mich auf den Rücken.
    »Gute Nacht, mein Liebster«, flüsterte ich und war mir sicher, dass er mich nicht mehr hörte. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf das Geräusch des Regens auf dem Dach und versuchte, die einzelnen Tropfen zu unterscheiden; jeden einzelnen, die alle zusammen den Regen ergaben. Sie fielen auf die Schindeln, die sie so von meinem Gesicht trennten und ich bemühte mich, ihnen zuzuhören, die, einem nach dem anderen, in ungleichem Abstand fielen, um auf diese Weise jenes beunruhigende innere Geräusch zu überdecken, den ängstlichen und verletzten Schrei, der versuchte, sich aus meinem Herzen heraus seinen Weg zu bahnen.

    Die Augen Anas, weiß, ohne Pupillen, die mich über den Hof hinweg aus dem gegenüberliegenden Fenster des Esszimmers anschauten, während ich José umarmte; aber es war nicht José, sondern eine Figur aus Rauch, ein unfassbares Gespenst, durch das hindurch ich mit meinen Armen tastete,  suchend, versuchend, sinnlos fuchtelnd, während mich jene leblosen Augen anschauten, mich bedrohten, mir langsam näher kamen, frei in der Luft schwebend; ich wollte einen Schritt machen, einen einzigen Schritt in Richtung Tür, um zu fliehen, war aber unfähig, meine Beine zu bewegen. Die weißen, schwebenden Augen im dunklen Nichts, weiterhin auf mich zukommend, während José mich umarmte, sich im nächtlichen Schwimmbecken an mich presste, aber es war auch gar nicht José, sondern eine riesige Eidechse mit glitschiger Haut, die mir ihre Zähne in den Hals bohrte, bis ich blutete, mir die Badehose vom Leib riss; ich versuchte, mich mitten im Schwimmbecken zu befreien, zu fliehen, wegzuschwimmen, jenen Krallen zu entrinnen, die mir den Bauch zerfetzten, jenen fürchterlichen Augen, die auf mich zukamen, aber ich konnte nicht laufen, die schwarzen Fluten umfingen meine Beine wie mit Algenschlingen, meine Schenkel kämpften mit ganzer Kraft, um einen Schritt zu tun, einen einzigen Schritt, um mich aus der Todesqual zu befreien. Und plötzlich der Schrei, ja, ein wahnsinniger Schrei hinaus ins Nichts gestoßen, während meine Füße zitterten, während die flammenden Augen mich erreichten, während die Krallen meinen Hals umklammerten und meinen Kopf unter Wasser drückten, was meinen Schrei in eine Explosion roter Blasen verwandelte, die zur unerreichbaren Oberfläche aufstiegen, während die Kälte des Todes meine Kehle überflutete.
    »Javier! Javier! Was hast du denn?«
    »Was?«
    »Du hast geschrien.«
    Josés Hände schüttelten meinen Arm. Ich schluckte ein paar Mal und blinzelte. Es herrschte völlige Dunkelheit. Die Stimme kam von oben, er kniete neben mir. Mein Gesicht war mit kaltem Schweiß bedeckt.
    »Warte, ich mach die Lampe an«, sagte José.
    »Nein, ist schon gut. Bleib ganz ruhig.«
    »Du zitterst ja. Was ist denn mit dir? Wirst jetzt du krank?«
    »Nein, es ist nichts. Ein Albtraum. Es war schrecklich, aber es war ja nur ein Traum. Mach dir keine Sorgen.«
    »Na gut, ich mach Licht.«
    »Nein, hab ich gesagt. Lass. Das ist nicht nötig. Schlaf wieder ein, Kleiner. Hat es aufgehört zu regnen?«
    José krabbelte auf allen vieren zum Eingang der Hütte.
    »Ja, es hat aufgehört! Man kann die Sterne sehen.«
    Ich ließ meinen Kopf auf die Zelttasche fallen, die uns als Kopfkissen diente. Mir taten alle Knochen weh, die Nieren und die Beinmuskeln.
    »Das kommt aber auch davon, dass dein

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