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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luis Algorri
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Eindruck, als ob...«
    Wir setzten uns wieder in den hinteren Teil des Busses.
    José blieb weiterhin schweigsam und mir schien es, als wiche er meinem Blick aus. Ich fühlte mich immer elender.
    »Manchmal fühle ich mich wie ein Vollidiot, José.«
    Er antwortete nicht, sah mich nicht einmal an. Er versuchte, es sich ganz in der Ecke am Fenster bequem zu machen und schloss die Augen. Doch der Bus vibrierte so sehr, dass es ihm unmöglich war, zu schlafen.
    »Komm«, sagte ich zu ihm und er streckte sich der Länge nach auf der Rückbank aus, legte seinen Kopf auf meinen Oberschenkel und blieb still liegen, mit auf der Brust gekreuzten Armen und geschlossenen Augen. Ich sah ihn an, ohne etwas zu sagen. Vor den Fenstern waren nun Berge zu sehen; die Straße schlängelte sich in engen Kurven und der Motor zeigte mit seinem immer lauteren Röhren und Dröhnen, dass wir stetig an Höhe gewannen. José seufzte tief.
    »Ich weiß nicht, was ihr beide für ein Ding am Laufen habt«, sagte er, drehte sich auf die Seite und legte nun seine Wange auf meinen Oberschenkel, »aber was ich weiß, ist, dass du kein Vollidiot bist.«
    Ich streichelte seinen Kopf. Zwei Minuten später schlief er tief und fest wie ein Kind.

    Der Bus hielt an und eine Sekunde später kam der Motor mit einem letzten Zittern zum Stehen.
    »Hey, Bonaparte. Da ich nicht vorhab, dich auf den Arm zu nehmen, solltest du jetzt langsam munter werden.«
    José kam aus dem Tiefschlaf mit dem süßen Unschuldsgesicht derer, die nicht wissen, wer und wo sie sind. Er sah sich um und rieb sich die Augen.
    »Was ist denn los? Wie spät ist es? Wo sind wir?«

»Wir sind angekommen.«
    Wir stiegen als Letzte aus. Während ich mich darum kümmerte, die Rucksäcke aus dem Kofferraum zu holen, stand José mit den Händen in den Hosentaschen dabei und schaute sich blinzelnd um. In der strahlenden Morgensonne breitete sich das Valle de Valdeón vor unseren Augen aus, leuchtend und funkelnd, wie aus Edelsteinen. Zu unserer Rechten dräuten die hohen Gipfel des Zentralmassivs der Picos de Europa, wuchtig und erhaben; das graue Gestein wirkte durch den Dunst wie blau. Die ferneren Bergkämme waren mit kleinen, unerreichbaren Schneefeldern übersäht. Zu unserer Linken begann gleich der Buchenwald, der sich den ganzen Berghang bis nach Panderrueda hinunterzog, der bereits sein Herbstkleid vorbereitete. Die Blätter waren schon dabei, ihr Sommergrün abzulegen und die ganze Palette der Herbstfarben vorzuführen: Rot- und Goldtöne, Ocker-, Malven- und Granattöne. Der gesamte Wald leuchtete in warmen, satten Farben; ein endloses barockes Fest im Sonnenschein. Ganz hinten wurde der Horizont von den steinernen Türmen des Westmassivs scharf markiert, an dessen Fuße sich grün und glitzernd das Tal erstreckte, mit seinen kleinen, wie Streublumen oder Kinderträume verteilten Dörfern.
    »Da wären wir also. Was denkst du?«
    José hatte immer noch das erstaunte Einfaltspinselgesicht.
    »Es wirkt wie im Märchen.«
    »Sicher doch«, grinste ich, »oder wo glaubst du, haben sie Bambi gedreht?«
    »Aber... Bambi ist doch ein Zeichentrickfi... «
    Mein Gelächter machte ihm klar, dass ich einen Witz gemacht hatte. Errötend fing auch er an zu lachen.
    »Du bist gemein, du nutzt aus, dass ich noch halb verschlafen bin.«
    »Aber es stünde dir besser an, jetzt wach zu werden, denn uns erwartet noch ein ganz schöner Marsch.«
    »Aber es geht doch bergab, oder?«
    »Ja, ja, du wirst schon sehen, wie bergab das hier geht...«
    Wir schnallten uns die Rucksäcke auf und setzten uns in Bewegung. Als Erstes durchquerten wir das Dorf Santa Marina. Uns umgab der typische Geruch aus Mist, Heu und Rauch. Von irgendwoher war Hühnergegacker zu hören. Vor einem Steinhaus auf einer Bank saß eine alte Frau, ganz in Schwarz gekleidet. Wir grüßten.
    »Ja wohin geht's denn? Zum Wandern?«, rief sie uns freundlich zu.
    »Ja, Señora.«
    »Ach ja... die Jugend. Aber recht leicht kommt ihr daher, ihr Burschen.«
    »Leicht?«
    »Ja, so! Für Schönwetter halt. Passt auf, dass ihr nicht nass werdet, ihr Burschen!«
    »Nass werden? Bei der Sonne?«
    »Ach, die Städter! Haben ja keine Ahnung! Schaut halt mal da, da unten. Es wird noch Regen geben, das sag ich euch.
    Heute Nachmittag wird es sich zuziehen in Caín, ihr werdet's schon sehen. Besser, ihr Burschen sucht euch bei Zeiten ein Dach überm Kopf...«
    José und ich sahen uns an, grinsten ungläubig: Unten im Tal war es etwas diesig, Aber über

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