DU HÖRST VON MIR
unseren Köpfen brannte eine fast sengende Sonne. Wir verabschiedeten uns von der Alten und gingen weiter. Der Weg ging mit leichtem Gefälle bergab, immer dem Cares folgend. Die beiden massiven Felshänge, die das Tal begrenzten, schienen einander langsam näher zu kommen. Aus purer Lust, sich ihn von hinten anzugucken, ließ ich José ein paar Meter Vorsprung. Seine schlanke, geschmeidige Gestalt, mit seinen schwarzen Haaren, die ihm die Brise, die sanft von der Höhe herunter kam, zerstrubbelte, seine feingliedrigen Hände, die er in die Träger des schweren Rucksackes eingehängt hatte. Dann holte ich ihn wieder ein und gab ihm Erläuterungen: Der Berg da, der wie eine Kathedrale aussieht, ist der Torre del Friero... Der gespaltene Felsen da drüben, der jetzt gerade im Schatten der Wolke liegt, gehört zu den Horcados Rojos... In der Kirche da, haben zwei von meinen Brüdern ihre erste Kommunion empfangen und ich hab Orgel gespielt...
José sah mich mit seinen kleinen Augen an, schenkte mir ein süßes Lächeln und stellte mir Fragen (»Nein, Bonaparte, der Naranjo de Bulnes ist von hier aus nicht zu sehen, der ist hinter diesen Bergspitzen, morgen kannst du ihn sehen.«) und wies dabei mit den Armen in alle Richtungen. Auf den Brücken blieb er stehen und betrachtete mit kindlichem Erstaunen, mit welcher Wucht die Wasser des Cares auf die Felsbrocken im Flussbett prallten, in weißen Schaum zerstieben und dabei wie ein lebendes, wütendes Wesen brüllten, um weiter zu einem verzauberten Ort zu strömen, den nur er, der Fluss selbst, kannte. Es gibt nichts Schöneres, als den Ausdruck von Glücklichsein auf einem geliebten Gesicht zu sehen. Und José war glücklich.
Wir kamen durch Posada de Valdeón, ohne Rast zu machen. In Cordiñanes kauften wir uns ein paar belegte Brötchen. Als wir ein Stückchen weiter unten Halt machten, am Mirador El Tombo, einem beeindruckenden Aussichtspunkt, von dem aus man das majestätische Zentralmassiv betrachten konnte, zog sich der Himmel langsam zu.
»Bis du müde?«, wollte ich wissen.
»Wie kommst du denn darauf? Ich und müde! Du bist der, der immer hinterher läuft.«
»Das ist nur, um dich aufzufangen, falls du ohnmächtig wirst.«
Als wir in La Preguera ankamen, einer herrlichen Alm, auf der ein kleiner, eiskalter Bach aus dem ewigen Schnee in den Cares mündet, hatten wir bereits eine bedrohliche dunkelgraue Wolkendecke über uns. Die ersten Tropfen bekamen wir nach der Ermita de Corona ins Gesicht. Wir holten unsere Regenjacken heraus und beschleunigten unseren Schritt. Das Nachmittagslicht verdunkelte sich und in wenigen Augenblicken begann über unseren Köpfen ein echter Wolkenbruch. Als wir die Lichter von Caín erkennen konnten, dem letzten Dorf des Tales, waren wir völlig durchnässt. Über das Gesicht von José liefen unzählige kleine Bäche Regenwasser und ich konnte sehen, wie er vor Kälte zitterte. Wir erreichten die Dorfschenke in einem bedauernswerten Zustand. Die Gaststube war klein und von einer einzigen Neonröhre erhellt, aber es war immerhin schön warm. Drei oder vier Einheimische spielten Karten und sahen uns mit spöttischem Gesichtsausdruck an. Wir bestellten Kaffee mit Schnaps. José lehnte den Rucksack an die Wand und ließ sich auf einen Stuhl fallen, ohne aufzuhören zu zittern.
»Diese Alte, du Bursche... Da hat sie ja echt Recht gehabt...«
»Aber voll und ganz burschenmäßig...«
»Mensch, Javier, alter Junge...«
Die Stimme drang wie ein Donnerschlag an mein Ohr. Sie gehörte Pedro, dem alten Besitzer des Gasthauses, der, klein, knochig, weißhaarig und mit gütigen blauen Augen, breit lächelnd seine gelben Zähne entblößte. Seine riesigen Hände waren von der Arbeit rau und schwielig und drückten meine Hand mit aller Kraft.
»Ja, so was aber auch!«, rief er. »Was bringt ihr denn für ein Wetter mit?«
»Als wir in Santa Marina ankamen, schien noch die Sonne, Don Pedro.«
»Ja, mein Junge, du bist doch aber nicht zum ersten Mal hier. Du weißt doch selbst, das Wetter bei uns ist nicht ohne...
Schön seht ihr aus. Und dieses Kind hier ist schon ganz fiebrig. Wer ist denn das? Dein Bruder?«
José blickte mit gerötetem Gesicht zu mir auf und versuchte zu lächeln.
»Nein, das ist doch nicht mein Bruder, Don Pedro«, sagte ich zögernd, »das ist... mein Freund, also ich meine, der Bruder von meiner Freundin.«
»Ja, da schau her. Ein hübscher Knabe. Aber er sieht schlecht aus! Komm mal her, mein Junge, lass
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