Du lebst nur zweimal
taumelte von einem Ende zum anderen, fand jedoch keinen Ausgang. Er schaute über die Brüstung nach unten. Ein dreißig Meter tiefer Abgrund. Über sich hörte er ein leises pfeifendes Summen. Er sah nach oben. Nur der Wind in der Vertäuung dieses verdammten Ballons! Doch dann überkam ihn ein wahnsinniger Einfall, eine plötzliche Erinnerung an einen alten Film mit Douglas Fairbanks, in dem sich der Held an einem Kronleuchter quer durch einen riesigen Saal geschwungen hatte. Der Heliumballon war stark genug, um den fünfzehn Meter hohen eingefaßten Baumwollstreifen mit den Warnungszeichen straff gespannt zu halten. Warum sollte er nicht ausreichen, das Gewicht eines Menschen zu tragen?
Bond rannte zu dem Ende der Balustrade, an dem das Halteseil angebunden war. Er zog daran. Es war straff wie ein Draht. Hinter ihm im Schloß war lautes Geschrei zu hören. War die Frau wieder zu sich gekommen? Er hielt sich an dem angespannten Seil fest, stieg auf die Brüstung, schnitt für seine Füße einen Halt in das Baumwollbanner, schlug, während seine Rechte das Halteseil umklammerte, mit Blofelds Schwert nach unten und stieß sich ab.
Es klappte! Eine sanfte Brise wehte, und er fühlte, wie er langsam über den in Mondlicht getauchten Park glitt, über den schimmernden, dampfenden See, auf das Meer zu. Aber der Ballon stieg, er fiel nicht! Der Heliumkugel machte sein Gewicht gar nichts aus! Dann zuckten im obersten Stockwerk des Schlosses blau-gelbe Blitze auf, und eine Wespe schien dicht an ihm vorbeizuschwirren. Bonds Hände und Füße, mit denen er sich festgeklammert hielt, begannen zu schmerzen. Irgend etwas traf ihn an der Schläfe, an der gleichen Stelle, von der der klopfende Schmerz in seinem Kopf ausging. Das gab ihm den Rest. Das war das Ende. Aber plötzlich begann die schwarze Silhouette des Schlosses zu schwanken, schien nach oben und seitwärts zu torkeln und sich dann wie eine Eisbombe in der Sonne aufzulösen. Das oberste Stockwerk schmolz zuerst, dann das nächste, dann das mittlere und dann schoß ein gewaltiger rötlicher Feuerstrahl aus der Hölle auf den Mond zu. Ein heißer Windstoß, von rollendem Donnern gefolgt, traf Bond und ließ seinen Ballon heftig schaukeln.
Was hatte das zu bedeuten? Bond wußte es nicht, es war ihm auch egal. Für ihn existierte nur der Schmerz in seinem Kopf. Der von einer Kugel durchschlagene Ballon verlor schnell an Höhe. Das Meer unter ihm bot sich als Bett. Bonds Hände und Füße lösten sich. Er ließ sich nach unten fallen, in eine Ruhe ohne Schmerzen . . .
21
(Nachruf aus der >Times<)
M. schreibt:
Wie Ihre Leser bereits aus früheren Ausgaben wissen, wird ein hoher Beamter des Verteidigungsministeriums, Commander James Bond, vermißt; er ist vermutlich während einer offiziellen Mission in Japan ums Leben gekommen. Es fällt mir schwer, mitteilen zu müssen, daß jede Hoffnung auf sein Überleben jetzt aufgegeben werden muß. Als Leiter der Abteilung, in der er gearbeitet hat, obliegt mir daher die Aufgabe, diesen Beamten und die hervorragenden Dienste zu würdigen, die er seinem Land erwiesen hat.
James Bond war der Sohn eines schottischen Vaters, Andrew Bond aus Glencoe, und einer Schweizer Mutter, Monique Delacroix, aus dem Kanton Waadt. Da sein Vater Auslandsvertreter der Vickers Waffenfabriken war, wurde er zunächst ausschließlich im Ausland erzogen, wodurch er fließend Französisch und Deutsch lernte. Als er elf Jahre alt war, verunglückten seine Eltern bei einer Bergtour in der Nähe von Chamonix tödlich, und der Junge kam unter die Obhut seiner Tante, Miss Charmian Bond, in dem kleinen Dorf Pett Bottom bei Canterbury in Kent. Seine Tante unterrichtete ihn weiter, und im Alter von zwölf Jahren bestand er die Aufnahmeprüfung für Eton, wo ihn sein Vater nach seiner Geburt eingeschrieben hatte. Sein Studium in Eton war kurz und nicht sehr erfolgreich. Bereits nach zwei Semestern wurde seine Tante, da er angeblich eines der Dienstmädchen belästigt hatte, gebeten, ihn aus Eton zu entfernen. Es gelang ihr, ihn nach Fettes - der alten Schule seines Vaters - überschreiben zu lassen. Die Atmosphäre dort war calvinistisch, und die schulischen wie sportlichen Anforderungen waren sehr streng. Obwohl er zum Einzelgängertum neigte, schloß er in den berühmten Sportklubs der Schule einige dauerhafte Freundschaften. Als er Fettes mit siebzehn Jahren verließ, hatte er zweimal dafür als Leichtgewicht geboxt und dazu die erste ernstzunehmende
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