Du lebst, solange ich es will
passt überhaupt nicht. Aufbrausend, wenn Gaby zuckersüß sein würde. Trotzig, wenn Gaby unterwürfig sein würde. Undankbar, verkommen, schmutzig, ekelhaft. Gaby wäre nichts davon.
Als ich statt des schwarzen Mini Coopers den roten Taunus mit dem Leuchtschild von Pete’s Pizza auf dem Dach sah, wusste ich, dass etwas schiefgelaufen war. Ich hätte wegfahren sollen. Es hätte etwas gedauert, aber ich hätte einen anderen entlegenen Ort finden und an einem anderen Mittwochabend anrufen und eine falsche Adresse angeben können.
Aber die Gier setzte meinen Verstand außer Betrieb. Ich redete mir ein, dass Kayla zwar nicht perfekt war, ich sie aber formen könnte. Gaby würde mir schließlich auch nicht für alle Ewigkeit reichen. Ich hörte nicht auf meine innere Stimme, die mich vor einem Fehler warnte, und winkte Kayla heran.
Als sie mein bekanntes Gesicht sah, lächelte sie und ich dachte schon, ich hätte das Richtige getan. Ein paar Sekunden danach wurde mir klar, wie falsch ich damit lag, aber da war es schon zu spät.
Was ich möchte - was ich tun muss -, ist noch mal von vorne anfangen. Mit Gaby, derjenigen, die ich wirklich will. Aber be vor ich das tun kann, muss ich meinen Fehler erst beseitigen.
Ich könnte Kayla runter zum Fluss bringen und mich ihrer entledigen. Sie von ihren Schmerzen befreien. Kann sein, dass man sie niemals finden wird, und selbst wenn, wird das Wasser bis dahin jegliche Beweise davongespült haben. Man wird nie herausfinden, dass sie noch ein paar Tage am Leben war, bevor sie im Fluss endete.
Und dann kann ich von vorne anfangen.
Der vierte Tag
DREW
Alle haben sich an diesem Morgen um zehn Uhr in der Küche einzufinden. Wir treffen uns in der Küche, weil im Pausenraum nur für ungefähr drei Leute Platz ist.
Die Küche platzt aus allen Nähten. Das Fließband ist aus. Jemand hat Stühle aus dem Restaurant geholt, um die Klappstühle zu ergänzen. Jeweils drei stehen in dem langen, schmalen Zimmer in Reihe nebeneinander.
Es sind jede Menge Gerüchte im Umlauf: Jemand hat versucht, bei Kaylas Eltern einzubrechen. In der letzten Nacht ist ein Fahrer von Papa John’s Pizza verschwunden. Die Polizei will, dass alle Jungen, die bei Pete’s Pizza arbeiten, als Mädchen verkleidet Pizza ausfahren und den Köder spielen. Jemand hat Kayla auf der Pine Street und in Seattle gesehen. Pete macht dicht und geht in Insolvenz. Ich höre mir einfach alles an. Es ist offensichtlich, dass keiner eine Ahnung hat.
Gaby steht kurz zögernd in der Tür. Dann setzt sie sich neben mich. Keiner hat sich bisher in meine Nähe gewagt. Vielleicht spinne ich ja nur, aber könnte es damit zu tun haben, dass ich derjenige war, der Kayla mit den Pizzas hat losfahren lassen? Liegt es daran, dass ich die Bestellung von diesem Typen aufgenommen habe, als wäre sie eine echte?
Gestern Abend war dermaßen die Hölle los gewesen - vor allem, nachdem Courtney gekündigt hatte - dass ich noch gar nicht dazu gekommen war, mit Gaby zu reden. Ich wollte ihr anbieten, sie zu ihrem Auto zu begleiten, doch Pete war schneller gewesen.
Ich glaube, Gaby versteht, wie ich mich fühle, auch wenn sie am Mittwoch nicht in der Pizzeria gewesen ist. Immerhin hätte sie an dem Abend arbeiten sollen. Und der Mann hat nach ihr gefragt. Und ich? Ich war derjenige, der Kayla zuletzt gesehen hat, aber ich kann mich noch nicht einmal an ihre letzten Worte erinnern. Wahrscheinlich war es irgendwas Unbedeutendes, aber jetzt erscheint es wichtig.
Wenn ich mich nur erinnern könnte, was sie als Letztes gesagt hat.
Natürlich waren Kaylas allerletzte Worte wahrscheinlich nicht die, die sie zu mir gesagt hat, als sie ihre Autoschlüssel und die drei Pizzaschachteln genommen hat. Vermutlich waren es gar keine Worte, sondern Schreie.
Weil mir so etwas durch den Kopf geht, kann ich nicht mehr ruhig schlafen.
Gaby sitzt nach vorne gebeugt, kaut an einem Fingernagel und Haare fallen ihr ins Gesicht. Sie zappelt ohne Unterlass mit den Beinen. Ich habe das Gefühl, ich bin nicht der Einzige, der nicht genügend Schlaf bekommt. Vielleicht hätte ich ihr nicht erzählen sollen, was der Mann gesagt hat. Aber ich musste es ihr einfach sagen. Außerdem hätten es ihr die Bullen wahrscheinlich sowieso sofort erzählt.
Pete kommt herein. Er ist klein, vielleicht ein Meter sechzig, hat schwarze Haare, eine große Nase und einen ansehnlichen Bauch. Ihm folgt einer der Polizisten, der schon mehrmals mit mir gesprochen hat. Beim Anblick seiner
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